Gas-Krise - Novellierung des Energiesicherungsgesetz

Erweiterung der staatlichen Befugnisse und gesetzliches Preisanpassungsrecht

Am 25. April 2022 hat das Bundeskabinett die Novellierung des Energiesicherungsgesetz (1975) und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften beschlossen (BT-Drs. 20/1501).

Angesichts des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine und eines möglichen Stopps russischer Öl- und Gasimporte werden damit weitere Vorbereitungen für den Fall einer Verschärfung der aktuell schon angespannten Lage auf den Energiemärkten getroffen. Das bestehende Instrumentarium der staatlichen Krisenvorsorge und Krisenbewältigung (dazu bereits Insight Gasversorgung bei akuter Gasknappheit) wird angepasst und ergänzt.

Im Einzelnen sieht der Gesetzesentwurf folgende wesentliche Neuerungen vor:

Treuhandverwaltung und Enteignung von Betreibern kritischer Infrastrukturen

In einem neuen Abschnitt des Energiesicherungsgesetzes werden „besondere Maßnahmen zur Krisenbewältigung“ geschaffen, die präventiv auch schon vor einer unmittelbaren Gefährdung oder Störung der Energieversorgung angewandt werden können.

Dazu gehört, dass Betreiber kritischer Energieinfrastrukturen unter eine Treuhandverwaltung gestellt werden können, wenn sie ihren Aufgaben nicht hinreichend nachkommen und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht (§ 17 EnSiG-E). Diese Möglichkeit ist im EnSiG bislang nicht vorgesehen. Die am 4. April 2022 angeordnete Treuhandverwaltung der Gazprom Germania GmbH (BAnz AT 04.04.2022 B13) beruht beispielsweise auf dem Außenwirtschaftsgesetz. Als Ultima Ratio soll künftig auch eine Enteignung von Betreibern kritischer Infrastrukturen möglich sein, wenn die Sicherung der Energieversorgung nicht anders gewährleistet werden kann (§ 18 EnSiG-E).

Gesetzliches Preisanpassungsrecht

Darüber hinaus ist die Einführung eines außerordentlichen gesetzlichen Preisanpassungsrechts (§ 24 EnSiG-E) vorgesehen.

Kommt es in der nach dem Notfallplan Gas ausgerufenen Alarm- oder Notfallstufe zu einer erheblichen Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland, soll entlang der gesamten Lieferkette bis hin zur Letztverbraucherbelieferung ein Recht zur einseitigen Preisanpassung bestehen. Damit soll verhindert werden, dass die Gasimporteure in eine finanzielle Schieflage geraten, die kaskadenartige Auswirkungen auf den gesamten Markt haben kann.

Zur Preisanpassung berechtigt sind alle betroffenen Energieversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette, also neben dem Gasimporteur selbst auch alle diesem nachfolgenden Zwischen-Händler und Gaslieferanten. Aus Gründen der Rechtssicherheit wird das Preisanpassungsrecht unter die Voraussetzung gestellt, dass die Bundesnetzagentur eine erhebliche Minderung der Gasimportmengen nach Deutschland per Pressemitteilung festgestellt hat. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass eine Preisanpassung der Höhe nach jedenfalls dann nicht angemessen sein soll, wenn sie die Kosten einer Ersatzbeschaffung überschreitet. Auf der ersten Stufe der Lieferkette sollen dabei die tatsächlichen Ersatzbeschaffungskosten veranschlagt werden können. Auf den nachfolgenden Stufen der Lieferkette können als Indikator die Ersatzbeschaffungskosten, die auf der jeweiligen Lieferstufe anfallen würden, veranschlagt werden. Den Kunden wird im Falle einer solchen Preisanpassung ein gesetzliches Sonderkündigungsrecht zugestanden.

Wird festgestellt, dass eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland nicht mehr vorliegt, erhalten die Kunden das Recht auf „Vertragsanpassung“. Was dies im Einzelnen konkret bedeutet, also beispielsweise wieder der ursprüngliche Vertragspreis gelten soll, ist nach dem Entwurf bisher allerdings nicht wirklich klar.

Einführung einer digitalen Plattform für Erdgas

Der Gesetzentwurf enthält die Rechtsgrundlage (§ 2b EnSiG-E) zur Errichtung einer (Online-) Plattform für die Umsetzung von Krisenmaßnahmen (z.B. Versorgungsreduktionen oder Abschaltungen) zur Energieversorgungssicherheit.

Auf dieser sog. Sicherheitsplattform Gas, die vom Marktgebietsverantwortlichen (Trading Hub Europe GmbH) errichtet und betrieben werden soll, werden Daten (z.B. von größeren Industriebetrieben und Gashändlern) gesammelt. Auf dieser Basis können im Krisenfall bestehende Reduktions- und Abschaltpotentiale optimal identifiziert und ausgewogene Abwägungsentscheidungen getroffen werden. Durch entsprechende Neuregelungen der Gassicherungsverordnung werden Bilanzkreisverantwortliche, Netzbetreiber sowie industrielle und gewerbliche Endverbraucher mit einer technischen Anschlusskapazität von mindestens 10 MWh/h verpflichtet, sich innerhalb eines Monats nach Bereitstellung der Plattform zu registrieren und bestimmte Buchführungs-, Nachweis- und Meldepflichten zu erfüllen sowie die Daten aktuell zu halten.

Die Sicherheitsplattform Gas soll zum 1. Oktober 2022 in Betrieb genommen werden. Bereits jetzt (vom 3. bis zum 16. Mai 2022) findet allerdings schon eine initiale Datenerhebung von rund 2.500 Endverbrauchern mit einer technischen Anschlusskapazität von mindestens 10 MWh/h statt.

Letztverbraucher, die diese Anforderungen erfüllen, wurden per Allgemeinverfügung zur Auskunftserteilung verpflichtet und dürften ab dem 3. Mai 2022 eine E-Mail der Bundesnetzagentur („Sicherheitsplattform-Gas@BNetzA.de“) mit individualisierten Zugangsdaten zu einer von der Trading Hub Europe GmbH bereitgestellten Online-Maske erhalten haben. Die Bundesnetzagentur hat hierzu auch eine Ausfüllhilfe zur Verfügung gestellt.

Europäische Solidaritätsmechanismen

Ebenfalls neu eingeführt werden Regelungen zur Stärkung europäischer Solidaritätsmechanismen (§ 2a EnSiG).

Deutschland ist nach europäischem Recht verpflichtet, in einer Gasmangellage an über Gasfernleitungen unmittelbar verbundene benachbarte Mitgliedstaaten und Italien solidarisch Gas zu liefern. Durch den in Artikel 13 der Verordnung (EU) 2017/1938 (SoS-Verordnung) geregelten Solidaritätsmechanismus sollen Extremsituationen bewältigt werden, in denen die Versorgung von geschützten Kunden gefährdet ist. Demzufolge muss Deutschland in einem Notfall die Gasversorgung von gewerblichen und industriellen Gasverbrauchern reduzieren, um auf ein Solidaritätsersuchen eines benachbarten EU-Mitgliedstaats hin Gas liefern zu können. Der Gesetzesentwurf schafft die zur Umsetzung dieser europäischen Verpflichtungen erforderlichen Verordnungsermächtigungen. Geregelt wird zudem eine rechtliche Grundlage für den Fall eines deutschen Solidaritätsersuchens bei benachbarten Mitgliedstaaten.

Anzeige der Stilllegung von Gasspeicheranlagen

Durch entsprechende Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) soll künftig eine Stilllegung von Gasspeicheranlagen angezeigt und von der Bundesnetzagentur genehmigt werden (§ 35h EnWG-E).

Einsatz kritische Komponenten

Zudem wird eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen, um bei kritischen Energieinfrastrukturen den Einsatz kritischer Komponenten nach dem BSI-Gesetz künftig untersagen zu können.

Bisher gab es im Energiebereich keine kritischen Komponenten im Sinne des § 2 Abs. 13 BSI-Gesetzes. Durch eine Neuregelung in § 11 Abs. 1g EnWG-E soll der Bundesnetzagentur die Befugnis übertragen werden, kritische Komponenten direkt oder durch die Festlegung kritischer Funktionen zu bestimmen. Den Katalog wird die Bundesnetzagentur im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik erstellen. Sechs Monate nach der Veröffentlichung des Katalogs haben die Betreiber von Energieversorgungsnetzen und Energieanlagen, die als kritische Infrastruktur gelten, dann die Anforderungen des § 9b BSI-Gesetzes einzuhalten und den erstmaligen Einsatz einer kritischen Komponente dem Bundesministerium des Innern und für Heimat anzuzeigen.

Zugang zu LNG-Anlagen

LNG-Anlagen sollen bei der Diversifizierung der Gaslieferquellen zukünftig eine entscheidende Rolle spielen.

Im EnWG existierten bisher aber keine Regelungen, die spezifisch auf LNG-Anlagen und deren Betrieb zugeschnitten sind. Durch die geplante Änderung des EnWG soll die Bundesnetzagentur die Befugnis erhalten, Festlegungen und Entscheidungen zu treffen, um Regelungen bezüglich des Zugangs zu LNG-Anlagen zu erlassen. Diese neue Festlegungsbefugnis soll gewährleisten, dass die für Versorgungssicherheit und Wettbewerb erforderlichen Regeln für den Zugang zu LNG-Anlagen zeitnah getroffen werden können und Rechts- und Planungssicherheit für notwendige Investitionen geschaffen werden.

Weitere Einzelheiten können den FAQ des BMWK zur EnSiG-Novelle entnommen werden.

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