BFH bestätigt die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags

Der Solidaritätszuschlag wird zur Finanzierung der deutschen Einheit seit dem Jahr 1995 bis heute erhoben. Rechtsgrundlage ist das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 (SolZG 1995). Daneben sahen sowohl der Solidarpakt I (1994 bis 2004) als auch der Solidarpakt II (2005 bis 2019) weitere finanzpolitische Maßnahmen im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung vor.

Mit dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 aus dem Jahr 2019 wird der Zuschlag zwar fortgeführt. Seit 2021 wird er allerdings erst erhoben, wenn die jährliche Einkommensteuer bei Einzelveranlagten mehr als EUR 16.956 oder bei Zusammenveranlagten mehr als EUR 33.912 beträgt; sowohl auf die mit einem gesonderten Steuertarif zu versteuernden Einkünfte aus Kapitalvermögen als auch auf die Körperschaftsteuer fällt der Solidaritätszuschlag hingegen stets an.

Bislang ordnete der BFH den Solidaritätszuschlag vor dem Hintergrund des wiedervereinigungsbedingt fortbestehenden Finanzbedarfs des Bundes zwar als verfassungsgemäß ein. Im aktuellen Verfahren war allerdings zu klären, ob die Erhebung des Solidaritätszuschlags auch in den Jahren 2020 und 2021 nach Auslaufen des Solidarpakts II zum 31.12.2019 noch verfassungsgemäß ist. Dies bestätigte der BFH in seinem Urteil vom 17.01.2023 (Az. IX R 15/20).

Bundesfinanzhof

Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer i.S.d. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG, deren Erhebung bis 2019 den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Sie ist nach Auffassung des BFH auch für die Jahre 2020 und 2021 gerechtfertigt, da weiterhin eine besondere wiedervereinigungsbedingte Finanzlast des Bundes - etwa in der Rentenversicherung, im Arbeitsmarkt und im Hinblick auf besondere Leistungen für die ostdeutschen Bundesländer – besteht. Dies wird untermauert durch den Umstand, dass es sich bei der finanzverfassungsrechtlichen Integration der neuen Bundesländer um eine „Generationenaufgabe“ handelt, die mitunter einen Zeitraum von rund 30 Jahren umfassen kann. Vor diesem Hintergrund ist die Erhebung einer Ergänzungsabgabe über einen Zeitraum von 26 bzw. 27 Jahren (noch) nicht zu beanstanden. Allerdings kann der Gesetzgeber mit Ablauf dieses Zeitraums verfassungsrechtlich gehalten sein, zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung für die Erhebung der Ergänzungsabgabe auch unter nunmehr geänderten Umständen aufrechtzuerhalten oder die Ergänzungsabgabe aufzuheben ist.

Mit der Annahme eines fortbestehenden Rechtfertigungsgrundes für die Ergänzungsabgabe korrespondiert die dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 zugrunde liegende Erwägung eines sinkenden Finanzbedarfs. Der Mittelbedarf sollte nach der Einschätzung des Gesetzgebers zwar bis zum Jahr 2019 erheblich sinken, aber eben noch nicht vollständig wegfallen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die schrittweise Rückführung des Solidaritätszuschlags ab dem Jahr 2021 und der vom Gesetzgeber in Aussicht gestellte Wegfall der Ergänzungsabgabe zu einem späteren Zeitpunkt als folgerichtige Reaktion des Steuergesetzgebers dar. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 und dem vorangegangenen Gesetzgebungsverfahren wird hinreichend deutlich, dass der Gesetzgeber den Solidaritätszuschlag nicht zeitlich unbegrenzt erheben will, sondern nur noch für eine Übergangszeit. Mit dieser Absichtserklärung bleibt der Gesetzgeber innerhalb des ihm zustehenden (weiten) Beurteilungsrahmens.

Der BFH erkennt zudem keine zwingende rechtliche Bindung des Solidaritätszuschlags an den Solidarpakt II, weshalb das Auslaufen des Solidarpakts II zum 31.12.2019 auch keine maßgebliche Auswirkung auf den Fortbestand des Solidaritätszuschlags haben kann.

Inwieweit andere Gründe wie beispielsweise die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg oder der erforderliche Finanzbedarf zur Bekämpfung des Klimawandels die Erhebung eines Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 rechtfertigen können, ist derzeit nicht klärungsbedürftig, da der ursprüngliche Gesetzeszweck für die Einführung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2012 noch nicht entfallen ist.

Die Erhebung des Solidaritätszuschlags verletzt auch nicht den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Denn der Gesetzgeber kann wesentliches Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandeln. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, die er mit gleichen Rechtsfolgen belegt und damit als „wesentlich gleich“ qualifiziert. Zumindest bei der Auswahl des Steuergegenstands wie bei der Bestimmung des Steuersatzes hat der Gesetzgeber diesbezüglich einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Beispielsweise darf er Verschonungen von der Steuer vorsehen, sofern er ansonsten unerwünschte, dem Gemeinwohl unzuträgliche Effekte einer uneingeschränkten Steuererhebung befürchtet. So ist es mithin aus sozialpolitischen Gründen gerechtfertigt, den Solidaritätszuschlag ab dem Jahr 2021 nur noch auf Spitzeneinkommen zu erheben.

Der BFH sieht somit auch für die Veranlagungszeiträume 2020 und 2021 eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage betreffend den Solidaritätszuschlag. Das seitens des Steuerpflichtigen betriebene Revisionsverfahren bleibt also erfolglos. Möchte der Steuerpflichtige die Rechtssache weiter betreiben, muss er selbst Verfassungsbeschwerde beim BVerfG einlegen.

Vorläufige Festsetzung

Die Finanzverwaltung erlässt sämtliche Festsetzungen des Solidaritätszuschlags für die Veranlagungszeiträume ab 2005 hinsichtlich der in Frage stehenden Verfassungsmäßigkeit des SolZG 1995 mit einem entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO). Dieser erfasst für die Veranlagungszeiträume ab 2020 auch die Frage, ob die fortgeltende Erhebung eines Solidaritätszuschlags nach Auslaufen des Solidarpakts II zum 31.12.2019 verfassungsgemäß ist.

Durch den Vorläufigkeitsvermerk ist der jeweilige Steuerfall im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des SolZG 1995 noch offen, was ein individuelles diesbezügliches Rechtsbehelfsverfahren regelmäßig entbehrlich macht. Im Regelfall wird die Festsetzung des Solidaritätszuschlags seitens des Finanzamts automatisch geändert, sobald das BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des SolZG 1995 entschieden hat. Bestehen in einem Steuerfall neben der zu klärenden Frage der Verfassungsmäßigkeit auch tatsächliche oder rechtliche Unklarheiten in Bezug auf den Solidaritätszuschlag, ist ein Rechtsbehelfsverfahren unumgänglich, also Einspruch einzulegen. Dies dürfte allerdings den absoluten Ausnahmefall darstellen.

Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die Finanzverwaltung den Vorläufigkeitsvermerk zur Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags aufgrund des aktuellen BFH-Urteils anpassen wird.

Hinweis: Mit ihrer derzeit noch anhängigen Verfassungsbeschwerde (Az. 2 BvR 1505/20) wenden sich zudem einzelne Bundestagsabgeordnete gegen die Fortführung des SolZG 1995, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 aus dem Jahr 2019. Eine diesbezügliche grundlegende Entscheidung des BVerfG bleibt insoweit abzuwarten. Wir werden Sie auf dem Laufenden halten!