Schadensersatz– und Strafzahlungen führen nach aktueller Verwaltungsmeinung nicht zu einem umsatzsteuerbaren Vorgang. Sie werden nicht geleistet, weil der Leistende eine Lieferung oder Dienstleistung erhalten hat, sondern weil er nach Gesetz oder Vertrag für den Schaden und seine Folgen einzustehen hat. Beispielhaft für solche „echten“ Schadensersatzzahlungen sind Konventionalstrafen, die geleistet werden, weil der Unternehmer, der sich zu einer Lieferung oder Dienstleistung verpflichtet hat, zu spät oder allgemein nicht vertragsgemäß leistet. Schwieriger gestaltet sich die Abgrenzung zwischen nicht steuerbarem Schadensersatz zu steuerbarem Entgelt bei anderen Ausgleichs-, Entschädigungs- und Stornokosten. Im Einzelfall, so hat es die EuGH-Rechtsprechung in der Vergangenheit gezeigt, können entsprechende Zahlungen als steuerbares Entgelt eingestuft werden (vgl. EuGH, Urteile v. 23.12.2015 – C-250/14, Air France-KLM/Ministère des Finances et des Comptes publics; v. 22.11.2018 – C-295/17, MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia SA/Autoridade Tributária e Aduaneira; v. 11.6.2020 – C-43/19, Vodafone Portugal – Comunicações Pessoais SA/Autoridade Tributária e Aduaneira).
Mit aktuellem Urteil vom 20. Januar 2022 hat der EuGH in der Rechtssache C-90/20 - „Apcoa Parking Danmark A/S“ entschieden, dass sogenannte Kontrollgebühren, die vom Betreiber eines Parkhauses wegen Verstoßes gegen die Parkvorschriften erhoben werden, als zusätzliches Entgelt für die Parkplatzüberlassung zu qualifizieren sind und daher der Mehrwertsteuer unterliegen.
Apcoa Parking Danmark A/S (nachfolgend: Apcoa), die Klägerin im Ausgangsverfahren, ist eine Gesellschaft dänischen Rechts. Sie betreibt Parkplätze, die sie im Einvernehmen mit den Grundstückseigentümern an Kraftfahrer vermietet. Im Rahmen ihrer Vermietungstätigkeit legt Apcoa die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) für die Nutzung der öffentlich frei zugänglichen Parkflächen fest und regelt darin z.B. Bestimmungen über die Entgelterhebung und die Parkhöchstdauer. An der Parkplatzeinfahrt werden Parkende ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Privatrecht gilt und bei einem Verstoß gegen die entsprechenden Parkvorschriften eine Kontrollgebühr erhoben wird. Die Kontrollgebühr beträgt 510 dänische Kronen (entspricht ungefähr 70 Euro) und fällt bei entsprechenden Verstößen zusätzlich zum Parkentgelt an. In Summe tragen die Kontrollgebühren in etwa zu einem Drittel der jährlichen Gesamteinnahmen von Apcoa bei. Strittig ist, ob die Kontrollgebühren Entgelt für eine erbrachte Dienstleistung, hier die Überlassung von Parkplätzen, darstellen.
Eine Dienstleistung gegen Entgelt liegt nach den allgemeinen (unionsrechtlichen) Grundsätzen vor, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die von dem Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die erbrachte Dienstleistung bildet. Das ist dann der Fall, wenn zwischen den erbrachten Dienstleistungen und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (u.a. EuGH-Urteil in der Rs. C-21/20 – „Balgarska natsionalna televizia“, Rz. 31).
Dieser geforderte „enge Zusammenhang“ zwischen Leistung und Gegenleistung sieht der EuGH bereits dann als gegeben an, wenn sich zwei Leistungen gegenseitig bedingen, also wenn eine Leistung nur unter der Bedingung erbracht wird, dass auch die andere Leistung verwirklicht wird. Im zu entscheidenden Fall entstehen die Kontrollgebühren nur dann, wenn auch tatsächlich ein Parkplatz zur Verfügung gestellt wird. Dabei erbringt Apcoa gegenüber den Parkenden eine Dienstleistung unabhängig davon, ob diese die Parkplätze vertragswidrig nutzen. Mit der Zustimmung der AGB erklärt sich der Parkende ja gerade mit der Erhebung von Kontrollgebühren durch Apcoa einverstanden. Aufgrund dieser Umstände des Sachverhalts bejaht der EuGH vorliegend den engen Zusammenhang zwischen der Erhebung der Kontrollgebühr und der Bereitstellung der Parkplätze und zählt zum Entgelt alles, was der Parkende aufzuwenden hat, um den Parkplatz nutzen zu können (somit auch die Kontrollgebühren). Dementsprechend unterliegen auch die Kontrollgebühren der Umsatzsteuer. Dass die Kontrollgebühr nach nationalem, hier dänischem Recht, als Bußgeld qualifiziert wird, ist für die umsatzsteuerliche Einordnung unerheblich, da es auf die unionsrechtliche und nicht die nationale Betrachtung ankommt.
Hinweis: Es bleibt abzuwarten, wie die deutsche Finanzverwaltung auf das EuGH-Urteil reagieren wird. Es spricht viel dafür, dass die deutsche Finanzverwaltung dem Trend in der Rechtsprechung, Ausgleichs- und Entschädigungszahlungen vermehrt als steuerbares Entgelt einzustufen, folgen wird. Dies wird dazu führen, dass in einer Vielzahl von Fällen Schadensersatzzahlungen neu zu beurteilen sind. Rechtsanwender sollten zum jetzigen Zeitpunkt an Umsatzsteuer-Klauseln denken, um in strittigen Fällen (nicht steuerbarer Schadensersatz vs. Leistungsentgelt) Umsatzsteuerrisiken zuvorzukommen.
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