Der Beruf der Steuerberaterinnen und Steuerberater ist (in einigen Jahren) tot! – Dies ist eine Aussage, die in der (Fach-) Literatur zwar häufig zu finden ist, jedoch aus unserer Sicht von einer absolut falschen Grundannahme ausgeht. Nämlich von der Annahme, dass der Mensch bei einem ausreichend hohen Automatisierungsgrad im steuerlichen Bereich überflüssig wird bzw. vollständig ersetzt werden kann – was nicht der Fall ist.
Eines ist jedoch nicht von der Hand zu weisen: Der Berufsstand der Steuerberaterinnen und Steuerberater befindet sich derzeit in einem tiefgreifenden und strukturellen Wandel, diesen gilt es aktiv und mit positivem Gestaltungswillen zu begleiten. Doch bevor wir uns den aktuellen Entwicklungen zuwenden und in die Diskussion um die Zukunft des Steuerberaterberufs einsteigen, sollten wir zunächst einen Blick auf die Entwicklungen werfen, die zu den aktuellen Diskussionspunkten geführt haben.
Die Umsatzsteuer als Blaupause der Entwicklungen
Im Folgenden werden wir uns zunächst auf die Betrachtung der Umsatzsteuer beschränken. Denn die Umsatzsteuer hat als eines der wichtigsten und prominentesten Instrumente der Besteuerung von Waren und Dienstleistungen in den letzten 100 Jahren eine bemerkenswerte Wandlung erfahren. Die Einführung der Umsatzsteuer geht dabei auf den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, als Staaten damit begannen, Konsumgüter zu besteuern, um ihre Einnahmequellen zu diversifizieren. In Deutschland wurden 1918 die ersten Iterationen dieser Steuer eingeführt. Zu Beginn war die Umsatzsteuer dabei allerdings noch auf eine rudimentäre Struktur beschränkt. Was sich schnell änderte. Im Laufe der Jahrzehnte nahm die Komplexität der Umsatzsteuersysteme exponentiell zu. Die Differenzierung der Steuersätze nach dem Wert und der sozialen Bedeutung von Produkten und Dienstleistungen führte zu einem komplexen Geflecht von Steuersätzen und Ausnahmeregelungen. Die Internationalisierung der Umsatzsteuer, insbesondere in der Europäischen Union in den 1960er Jahren, markierte dabei einen Wendepunkt in der globalen Verbreitung dieses Steuerkonzepts, der 1993 in der ersten Umsetzung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie mündete.
Mit der zunehmenden Vernetzung und Globalisierung der Wirtschaft entstand die Herausforderung, nicht zuletzt auch den neu entstandenen Online-Handel und den immer weiter zunehmenden grenzüberschreitenden Handel effektiv zu besteuern. Die damit verbundenen Themenbereiche der Internationalisierung als auch der Globalisierung bilden heute die Kernbereiche, die den Wandel in der Besteuerung und den damit verbunden Berufsfeldern vorantreiben, denn eine effektive, effiziente und hinreichend lückenlose Besteuerung eines globalisierten Handels ist mit Papier nicht denkbar.
Eine Belegwelt aus Papier
Im Hinblick auf die Digitalisierung steht der gesamte Steuerbereich, wie viele andere Bereiche, vor enormen Herausforderungen. Auch wenn sich der Bereich der Digitalisierungslösungen in den letzten Jahren rasant entwickelt hat, besteht die Belegwelt in Deutschland derzeit noch zu einem großen Teil aus Papier. Was schon an dieser Stelle in einem starken Kontrast zu dem sich immer weiter digitalisierenden Rechnungswesen steht. So ist es nicht verwunderlich, dass der Medienbruch zwischen einer immer weiter digitalisierten Buchhaltung und einer nach wie vor sehr papierlastigen Belegwelt im Zusammenspiel eine Quelle für eine Vielzahl von Problemen darstellt.
Der Medienbruch führt zum Hauptproblem dieser hybriden Arbeitsweise: der doppelten Dateneingabe. Sie ist erforderlich, um physische Belege in digitale Buchhaltungssysteme zu übertragen. Dieser Prozess ist aufgrund der manuellen Eingabe nicht nur sehr fehleranfällig, sondern auch zeitaufwendig. In den letzten Jahren haben sich in diesem Bereich eine Vielzahl von Digitalisierungslösungen etabliert, die die Belege zumindest halbautomatisch in das digitale Buchhaltungssystem übertragen. Das ursprüngliche Problem, dass zwischen der Ausstellung eines Beleges und der Erfassung im digitalen Buchungssystem immer noch ein weiterer (fehleranfälliger) Zwischenschritt erforderlich ist, bleibt bestehen. Eine papierzentrierte Belegwelt bringt ihre eigenen Probleme mit sich. Ein Beispiel dafür ist der Mangel an Transparenz. Wenn Belege ausschließlich in physischer Form vorliegen, wird der Zugriff auf relevante Buchhaltungsdaten erschwert, was zu Verzögerungen bei der Berichterstattung oder der Entscheidungsfindung führen kann. Die physische Aufbewahrung von Papierbelegen versursacht daneben einen erheblichen Platzbedarf und kann zusätzliche Kosten hinsichtlich der Beschaffung und Lagerung von Papier verursachen.
Eine Belegwelt aus Papier – ein NoGo für die Umsatzsteuer
Die Komplexität der Umsatzsteuer und die stetig steigenden Compliance-Anforderungen erschweren die Verwaltung von Papierbelegen. Die Komplexität von Vorschriften und steuerlichen Anforderungen wird dabei in Zukunft immer weiter zunehmen, da die Finanzbehörden im Zuge der immer weiter voranschreitenden Entwicklung tiefere Einblicke in das Buchungs- und Abrechnungsverhalten verlangen werden; eine Aufgabe, die mit einer papierbasierten Belegwelt zunehmend schwieriger – wenn nicht gar unmöglich – wird. Motiviert werden diese Trends durch Umsatzsteuerbetrug. So beläuft sich der geschätzte Verlust an Mehrwertsteuereinnahmen für die EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2020 auf 93 Milliarden Euro. Dieser Betrag bezieht sich auf die Mehrwertsteuerlücke (auch VAT Gap genannt), die die Differenz zwischen den erwarteten und den tatsächlich eingenommenen Mehrwertsteuereinnahmen beschreibt.
Neben Steuerbetrug und Steuerhinterziehung sind auch eine Vielzahl anderer Faktoren, wie z.B. Fehlkalkulationen und Verwaltungsfehler, für diese Lücke verantwortlich. Eine papierbasierte Belegabrechnung kann in vielfältiger Weise den Umsatzsteuerbetrug begünstigen, da sie manipulationsanfälliger und schwerer kontrollierbar ist. Zu den bereits genannten Punkten kommt hinzu, dass papierbasierte Belege nicht nur schwer nachvollziehbar sind, sondern auch zahlreiche Probleme bei der Prüfbarkeit mit sich bringen.
Die E-Rechnung – die ultimative Digitalisierung des Steuerbereiches
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hat Italien als Vorreiter bei der Einführung der E-Rechnung bereits zum 1. Januar 2019 die einheitliche elektronische Rechnungsstellung eingeführt. Und zwar für alle B2B-, B2G- sowie alle B2C-Rechnungen. Seitdem müssen alle Rechnungen im einheitlichen XML-Format „FatturaPA“ erstellt werden. Alle Rechnungen folgen einem standardisierten Datensatz, der es ermöglicht, Folgeprozesse wie Rechnungseingangsprüfung, Verbuchungsprozesse etc. vollständig zu automatisieren – was den digitalen Reifegrad massiv erhöht hat und viele Auslöser der Mehrwertsteuerlücke gleichzeitig adressiert. Ohne näher auf das komplexe Prozessmodell einzugehen, ist es an dieser Stelle wohl wichtiger zu erwähnen, dass dieser Schritt erhebliche Auswirkungen auf die Bekämpfung der Steuerkriminalität hat.
Diese beispielhafte Entwicklung in Italien führt uns an dieser Stelle wieder zum Anfang dieses Textes zurück. Denn gerade in dieser vollständigen Digitalisierung und auch in der vollständigen Standardisierung wittern viele den Tod des Berufsstandes. Denn auch in Deutschland ist eine solche Entwicklung bereits im Gange.
Die Entwicklung der E-Rechnung in Deutschland
Bereits 2011 wurden elektronische Rechnungen (E-Rechnungen) umsatzsteuerlich grundsätzlich den Papierrechnungen gleichgestellt und mit der Einführung der E-Rechnung in der öffentlichen Verwaltung ein weiterer bedeutender Schritt zur Digitalisierung der Verwaltung getan. Ab Ende 2019 ist die Bundesverwaltung verpflichtet, E-Rechnungen zu empfangen und zu verarbeiten. Darüber hinaus sind seit dem 27. November 2020 auch alle Rechnungssteller verpflichtet, elektronische Rechnungen an die öffentlichen Auftraggeber des Bundes zu übermitteln. Künftig sollen alle Unternehmen in Deutschland untereinander nur noch elektronische Rechnungen ausstellen.
Als Starttermin für die E-Rechnungspflicht plant die Bundesregierung den 1. Januar 2025. Ab diesem Zeitpunkt sollen den Plänen zufolge alle Unternehmen in der Lage sein, elektronische Rechnungen zu empfangen; für die Erstellung und den Versand von E-Rechnungen erhalten die Unternehmen den Plänen zufolge ein weiteres Jahr Zeit, so dass sie spätestens ab dem 1. Januar 2026 ihre eigenen Rechnungen nur noch elektronisch versenden müssen.
Das volkswirtschaftliche Potenzial der E-Rechnung
Die weitere Einführung bzw. der Ausbau der E-Rechnung birgt in vielerlei Hinsicht ein enormes Potenzial, nicht nur das Berufsfeld des Steuerberaters positiv neu zu gestalten, sondern auch aus volkswirtschaftlicher Sicht eine Vielzahl von Verbesserungen mit sich zu bringen.
Denn grundsätzlich wird die flächendeckende Einführung der E-Rechnung vor allem eines bewirken: Die Steuereinnahmen werden steigen, und zwar ohne eine einzige Steuererhöhung. Denn allein durch die Vermeidung von Steuerbetrug oder auch durch die Vermeidung von Buchungsfehlern oder Ähnlichem wird die Mehrwertsteuerlücke immer kleiner. Das allein bringt allen Unternehmen, die sich ohnehin an die geltenden Steuergesetze halten, nur weitere Vorteile. Und insgesamt werden sich die daraus resultierenden Mehreinnahmen positiv auf die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt auswirken.
Die IT-Kompetenz muss steigen
Darüber hinaus stellt sich aber natürlich auch die Frage, wie in Zukunft im Steuerbereich gearbeitet wird und inwieweit der Berufsstand von diesen Veränderungen betroffen ist. Um es gleich vorwegzunehmen: Der Berufsstand wird sich grundlegend verändern. Im positiven Sinne.
Der Beruf der Steuerberaterinnen und Steuerberater ist derzeit noch geprägt von einer Vielzahl repetitiver Tätigkeiten, die nicht nur viel Zeit in Anspruch nehmen, sondern vor allem Zeit für das nehmen, was der Name eigentlich schon sagt: Beratung. Denn darauf sollte der Schwerpunkt der Arbeit in diesem Berufsfeld liegen.
Beratung bringt Mehrwert und macht den Menschen so wertvoll
Eine zukunftsorientierte Beratung mit langjähriger Expertise, die neben der Lösung komplexer Problemstellungen auch menschliche Aspekte wie Empathie und Einfühlungsvermögen beinhaltet, ist so unglaublich wertvoll, dass wir uns alle freuen können, wenn die fortschreitende Automatisierung genau dafür mehr Raum schafft.
Um dieses Potenzial und die möglichen Handlungsspielräume auch in Zukunft nutzen zu können, ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich zum einen die Ausbildung an diese veränderten Bedingungen anpasst und sich zum anderen auch die bereits im Beruf stehenden Personen mit dieser Thematik auseinandersetzen und entsprechend weiterbilden. Denn auch wenn Steuerberaterinnen und -berater heute schon in vielfältiger Weise mit Daten jonglieren, muss die steuerliche Ausbildung in Zukunft mit einem starken IT-Fokus verbunden werden. Und genau in diesem Wandel liegt auch die große Chance, das Berufsfeld von seinem angestaubten Image zu befreien und das gesamte Arbeitsfeld gerade in Zeiten des Fachkräftemangels attraktiver zu gestalten.
Aber nicht nur die Menschen müssen sich den veränderten Bedingungen anpassen. Auch die entsprechenden Softwarelösungen – auch Tax Technology genannt – müssen sich zukünftig insbesondere auf den zu erwartenden Standardisierungsgrad einstellen. Im Vordergrund steht dabei die nahtlose Integration der Steuerdaten in die Finanzsysteme, um den gesamten Geschäftsprozess möglichst medienbruchfrei zu optimieren und Fehler im Steuer-Reporting zu minimieren.
Insgesamt wird Tax Technology in der Steuerwelt eine immer wichtigere Rolle spielen, da Unternehmen nicht nur intrinsisch motiviert sein werden, ihre Effizienz zu steigern und damit Kosten zu minimieren, sondern es wird auch immer wichtiger werden, die Einhaltung von Steuervorschriften sicherzustellen und steuerliche Risiken zu minimieren.
Unternehmen sollten sich daher spätestens jetzt mit den personellen und technologischen Herausforderungen der Zukunft auseinandersetzen und sich dabei eines bewusst machen: Es gibt viel zu gewinnen und nichts zu verlieren. Diejenigen, die mutig vorangehen und damit das System mitgestalten, werden am meisten profitieren. Also: Mutige Pionierinnen und Pioniere voran!