Neue Grundsteuer: Möglichkeit des Nachweises eines geringeren Grundsteuerwerts im Bundesmodell
Neue Grundsteuer: Möglichkeit des Nachweises eines geringeren Grundsteuerwerts im Bundesmodell
Eine Neuregelung der Bewertung von Grundstücken für Zwecke der Grundsteuer war nach verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus 2018 (Urteile vom 18.04.2018 - 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/24, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12) notwendig geworden. Bei der Bewertung der Grundstücke ist nach dem neuen Gesetz nicht mehr vorgesehen, im Einzelfall einen unter dem vom Finanzamt nach dem sog. Bundesmodell festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert des Grundstücks mittels Sachverständigengutachten nachzuweisen. Dies gab Anlass zu reichlich Kritik. In zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Aussetzung der Vollziehung der Grundsteuerwertbescheide) hat nun der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschlüssen vom 27.05.2024 (II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV)) zu den insoweit maßgeblichen Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden.
Die Antragsteller hatten in erster Instanz erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die angefochtenen Bescheide waren auf der Grundlage des sog. Bundesmodells ergangen. Die danach für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften enthalten aus Gründen der Automatisierung und Bewältigung der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten eine Vielzahl von Typisierungen und Pauschalierungen, ohne einen Einzelnachweis zuzulassen. Deshalb hatte das Finanzgericht ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsvorschriften. Nunmehr bestätigte der BFH diese Zweifel und gewährte deshalb ebenfalls die beantragte Aussetzung der Vollziehung.
Nach Auffassung des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Grundsteuerwertfeststellungen. Einem Steuerpflichtigen muss bei verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften die Möglichkeit eingeräumt werden, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen, auch wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt hat. Der Gesetzgeber verfügt zwar gerade in solchen Massenverfahren wie der Grundsteuer über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann jedoch verletzt sein, wenn sich der festgestellte Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der bisherigen Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt.
In beiden Streitfällen kam der BFH zu dem Ergebnis, dass bei summarischer Prüfung nicht auszuschließen ist, dass die Antragsteller jeweils aufgrund einzelfallbezogener Besonderheiten den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ihrer Grundstücke mit der erforderlichen Abweichung zu den festgestellten Grundsteuerwerten erfolgreich führen könnten.
Hinweise:
Die beiden Streitfälle sind von den besonderen Umständen und konkret vorgetragenen Besonderheiten der Grundstücke und Immobilien geprägt. Aufgrund des Baujahres 1880 bestand ein erhebliches Alter der Gebäude sowie infolge vollständig unterbliebener Renovierungen ein sehr schlechter Instandhaltungszustand. Zumindest in solchen Fällen muss ein Nachweis eines unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert des Grundstücks möglich sein. Eine allgemeine Feststellung traf der BFH – naturgemäß – nicht. Der BFH macht ebenso klar, dass eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts an sich mit diesem Beschluss nicht verbunden ist. Da bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war vom BFH nicht mehr zu prüfen, ob die zugrundeliegenden Bewertungsregeln verfassungsgemäß sind.