Klagen von Selbstständigen, Freelancern und kleineren mittelständischen Unternehmen, keine geeigneten Finanzdienstleistungsprodukte zu finden, dürften in Zukunft abnehmen. Davon geht Dr. Roger Rihmland, Partner Financial Services im Frankfurter Büro der BDO AG aus.
Teilweise ist das sogar schon passiert. Grund dafür ist, dass sich die Finanzbranche, angetrieben vor allem von Fintechs, immer besser auf die Bedürfnisse kleinerer und mittelständischer Unternehmen ausrichtet.
„Bei klassischen Banken war die Betreuung von Selbstständigen und kleineren mittelständischen Unternehmen irgendwo zwischen Privatkunden und großen Unternehmen angesiedelt“, sagt M&A- und Fintech-Experte Rihmland. „Das Leistungsangebot der Banken war streckenweise nur in Ansätzen an die Bedürfnisse dieser Kundengruppe angepasst.“
Innovative Fintech-Gründer haben diese Marktlücke gesehen und sich auf dieses spezielle Kundensegment ausgerichtet. So sind im Laufe der Zeit Fintechs entstanden wie Penta, das im vergangenen Jahr vom französischen Fintech Qonto übernommen worden ist. Bei Qonto können Unternehmer und Selbstständige sämtliche Bankgeschäfte in einer App erledigen: den Zahlungsverkehr auf dem Bankkonto oder am Point of Sale abwickeln, Überweisungen in den verschiedensten Währungen tätigen und auch den passenden Firmenkredit aufnehmen. Daneben bietet Qonto verschiedene Möglichkeiten zur Verwaltung, Bezahlung und Buchung von Rechnungen oder auch zur effizienten Erfassung von Rechnungen.
In eine etwas andere Marktlücke stoßen Fintechs wie FinCompare, Compeon, October oder Creditshelf. Sie bieten Kunden über eine Plattform den Zugang zu einem breiten Spektrum unterschiedlicher Finanzierungen (zum Beispiel Lagerfinanzierung, Factoring oder Mietkauf) an, die speziell auf die Bedürfnisse mittelständischer Unternehmen ausgerichtet sind. Zusätzlich sorgen neben der konkreten Finanzierung transparente und digitale Prozesse für eine schnelle Bearbeitung der Finanzierungsanfrage. Durch die Beratung und Vermittlung von Finanzierungslösungen ausgewählter Partner agieren einige dieser Fintechs als spezialisierte Finanzierungsplattformen für mittelständische Unternehmen. Kundensegmentspezifische Herausforderungen wie eine fehlende Geschäftshistorie oder Stabilität auf der Einnahmenseite werden im Rahmen des Antragsprozesses berücksichtigt und adressiert.
„In der klassischen Bankenwelt hatten kleinere mittelständische Unternehmen nur ein sehr begrenztes Produktangebot gefunden, und die Customer Journey war nicht gänzlich auf die Bedürfnisse des Kundensegments ausgerichtet“, sagt Rihmland. Zudem verfügen Fintechs im Vergleich zu traditionellen Banken häufig über kompaktere, agilere und innovativere IT-Systeme, die sich deutlich dynamischer an verändernde Kundenbedürfnisse und damit verbundene Produkte anpassen lassen. Die IT-Infrastruktur etablierter Banken, die über die Zeit und die Historie mit vielen unterschiedlichen Anforderungen gewachsen ist, erlaubt technische Veränderungen sowie die Erweiterung spezifischer Produkte häufig nur unter beträchtlichem Aufwand und hohen Kosten. „Entsprechend sind die Prozesse oft nicht auf die Bedürfnisse kleinerer mittelständischer Unternehmen zugeschnitten“, meint Rihmland.
Das ändert sich mit der neuen Konkurrenz. „Fintechs haben entscheidend dazu beigetragen, dass die Finanzierung von Unternehmen schneller und innovativer geworden ist“, sagt Rihmland. So hätten sie Themen wie Crowd Financing ins klassische Kreditgeschäft gebracht: Das Unternehmen präsentiert sein Projekt und erhält auf dieser Grundlage eine Schwarmfinanzierung, an der sich viele kleinere Kreditgeber, Privatpersonen oder institutionelle Anleger beteiligen, die über das Online-Netzwerk des Fintechs erreicht werden.
Hilfreich für Unternehmer sind auch viele Zusatzdienstleistungen, die Fintechs anbieten. Eine moderne Online-Rechnungsverwaltung oder Online-Buchhaltung erspart dem Unternehmer viel Zeit, da die Rechnungen nicht nur schneller erfasst werden, sondern auch ohne großen Aufwand direkt verbucht werden können. Der Steuerberater kann dann direkt auf diese Zahlen zugreifen und diese mühelos zu einer Steuererklärung verarbeiten.
Die entscheidende Frage ist jedoch, ob Unternehmen diesen Fintechs so weit vertrauen sollten, dass sie ihnen auch ihre Einlagen anvertrauen können.
„Das ist in Anbetracht der aktuellen Ereignisse rund um die Silicon Valley Bank eine berechtigte und entscheidende Frage“, meint Rihmland. „Jeder Unternehmer sollte sich vorher informieren, wer sein Partner ist und sich Gedanken über ein mögliches Ausfallsrisiko dieses Partners machen, bevor er eine Bank oder ein Fintech-Unternehmen auswählt.“
Versprechen auf innovative Produkte allein genügen jetzt nicht mehr. Die eher wilden Zeiten im Fintech-Bereich, bei denen Investoren eine Vielzahl von Fintech-Geschäftsmodellen mit teilweise sehr hohen Unternehmensbewertungen finanziert haben, sind erst einmal vorüber. Vor allem seit der zweiten Jahreshälfte 2022, als die Zinsen an den Finanzmärkten zu steigen begannen, haben sich die Bedingungen für die Finanzierung von Fintechs spürbar verschlechtert. Damit wird dieser Bereich in Zukunft konsolidieren: Wachstum um jeden Preis ist nicht mehr alles. Heute muss neben dem Geschäftsmodell vor allem der eher kurze Weg zur nachhaltigen Profitabilität eines Fintechs überzeugen.
Diese Einschätzung teilt Johannes Helke, Partner und Head of Financial Services der BDO in Deutschland. „Move Fast ist nicht mehr die alleinige Maxime in der Fintech-Branche“, hat Helke beobachtet. Auch wollten die Fintechs heute traditionelle Banken nicht mehr unbedingt ersetzen. Vielmehr strebten sie mittlerweile eher partnerschaftliche Beziehungen an. Viele Fintechs arbeiten eng mit traditionellen Banken zusammen. Sie treten dann entweder nach außen unerkannt als Teil des Bankangebots auf, oder die Bank macht ihren Partner den Kunden gegenüber als Kooperationspartner sichtbar.
„Die Solarisbank beispielsweise stellt ihre Bankenplattform ‚as a service‘ anderen Fintechs zur Verfügung, ohne dass es der Endkunde notwendigerweise merkt“, sagt Helke. Die ING-Bank in Frankfurt, eine Tochtergesellschaft der holländischen ING Group, die stark auf das Direktbankgeschäft mit Privatkunden ausgerichtet ist, geht einen anderen Weg. Sie bietet ihren Kunden gemeinsam mit dem Fintech Scalable Capital offen die digitale Vermögensverwaltung des Robo-Advisors an.
Ursprünglich hatten sich Fintechs stark auf den Zahlungsverkehr und die Abwicklung von Wertpapiergeschäften konzentriert. Payments, Direct Banking und Discount Brokerage sind die englischen Schlagwörter, die damals populär wurden. Heute können Helke zufolge viele traditionelle Banken mit den Fintechs mühelos mithalten, das heißt, sie haben im Hinblick auf Nutzerfreundlichkeit, „User Experience“ und Effizienz massiv aufgeholt.
Andere Fintechs haben sich darauf spezialisiert, Banken zu digitalisieren. Ein Beispiel dafür ist das Berliner Fintech Mambu. Die beiden Unternehmer Eugene Danilkis und Frederik Pfisterer hatten es im Jahr 2011 gegründet, ursprünglich, um Mikrofinanzinstitute in Lateinamerika und Afrika mit moderner Bankensoftware zu unterstützen. Danilkis und Pfisterer wollten die Banken von veralteten und zu komplexen Betriebssystemen befreien. Privatkunden und Unternehmen sollten durch einen besseren Zugang zu Finanzdienstleistungen wirtschaftliche Chancen besser wahrnehmen können.
Dann gelang es Mambu, die Commerzbank und den Wagniskapital-Finanzier Point Nine für sich zu begeistern und in einer späteren Finanzierungsrunde die große schwedische Investmentgesellschaft EQT Partners ins Boot zu holen. Heute stattet Mambu Neobanken wie Solarisbank und N26 mit technologischer Infrastruktur aus, aber auch traditionelle Banken wie Banco Santander und ABN Amro oder Kreditvermittler wie Check24. Inzwischen zählt Mambu zu den „Unicorns“ im Fintech-Bereich, also jenen Unternehmen, die eine Bewertung von mehr als einer Milliarde Euro erreicht haben.
Manche Banken sind noch einen Schritt weiter gegangen. Die Direktbank ING beispielsweise kommt eher aus dem traditionellen Direkt-Bankgeschäft, hat sich dann aber rasch in Richtung Fintech entwickelt. Heute ist sie sicher eines der führenden Fintechs in Deutschland und steht prominenten Wettbewerbern wie der Challenger-Bank N26 oder auch dem Neobroker Traderepublic in nichts nach.
Mambu scheint weit weg von der Unternehmensfinanzierung zu sein. Doch dieser Eindruck täuscht. Tatsächlich bietet Mambu den Banken genau die Software und IT-Systeme an, die diese brauchen, um kleinen und mittleren Unternehmen voll integriert die passenden Finanzierungsprodukte anzubieten. Mambu liefert das Herzstück, das es Banken ermöglicht, Unternehmen als lohnende Zielgruppe ins Auge zu fassen.
Helke bewertet den Beitrag der Fintechs für die Financial-Services-Industrie als sehr wertvoll: „Sie agieren schnell, effizient und äußerst kundenorientiert.“, sagt der Bankenexperte. Vor allem haben Fintechs die traditionelle Wertschöpfungskette im Bankgeschäft aufgebrochen und dazu beigetragen, dass sie zum Teil anders konfiguriert wird. „Früher haben Banken Einlagen entgegengenommen und Kredite gewährt“, sagt Helke. „Heute geht der Trend zur Plattformökonomie, das heißt die Fintechs und Finanzinstitute treten zunehmend als Vermittler auf.“ Manche Fintechs vermitteln nur noch Einlagen an diverse Banken, teilweise vermitteln Kreditplattformen Darlehensanfragen an eine Vielzahl von Kreditgebern.
Das bestätigen auch Kundenumfragen. So hat die Unternehmensberatung Roland Berger kleine und mittlere Unternehmen nach den Kriterien gefragt, die ihnen bei der Entscheidung für eine digitale Bank oder eine Plattform zur Kreditvermittlung wichtig sind. Die Antworten sind eindeutig: Unternehmen wollen bessere Zinskonditionen, schnelle Prozesse, guten Kundenservice – und es soll ihnen leicht gemacht werden, ein Angebot einzuholen.
Bei der Entscheidung für einen Anbieter sollten Kunden jedoch bedenken, dass die Bezahlung digitaler Finanzdienstleistungen häufig darin besteht, dem Anbieter Informationen über sich zur Verfügung zu stellen. Denn Daten sind der wohl wertvollste Rohstoff im modernen Bankgeschäft. So verarbeiten spezielle Algorithmen die Daten eines Bankkunden und speisen diese in das Scoring-Modell der Bank ein. Auf Basis dieser Modelle werden die Bankkunden in verschiedene Bonitätsgruppen einsortiert. Dies entscheidet dann weitgehend darüber, ob die Bank einen Kreditantrag genehmigt oder ablehnt.
Die Qualität von Kreditalgorithmen, Scoring-Modellen und vielen anderen Anwendungen im modernen Bankgeschäft wird entscheidend von der Menge der Daten, ihrer Güte und ihrer Aufbereitung bestimmt. Diese permanente Suche nach Daten kann auch ganze Geschäftsmodelle prägen. Manche Anbieter stellen ihre Dienstleistung kostenlos bereit und nehmen als „Bezahlung“ die Daten der Kunden. Das klassische Beispiel ist die Suchmaschine Google, die auch im Finanzbereich Nachahmer gefunden hat.
Zwar unterliegt die Nutzung von Informationen strengen datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Doch auf anonymer Basis dürfen diese ausgewertet und aggregiert werden. Auf diesem Gebiet wird sich noch viel tun. So sind die Kontobewegungen ein immenser Datenschatz, den die Finanzbranche Helke zufolge bisher noch gar nicht richtig gehoben hat: „Die traditionellen Banken besitzen eine große Fülle an Daten, können sie aber oft noch nicht effizient genug auswerten.“ Denn die Banken haben Daten oft auf unzählige verschiedene IT-Systeme verteilt. Teilweise sind Informationen auch noch gar nicht elektronisch erfasst, sondern schlummern noch in Kreditakten.
Wie sein Kollege Roger Rihmland erwartet auch Johannes Helke, dass sich der Fintech-Sektor noch stärker professionalisiert. „Manche Fintechs haben regulatorische Anforderungen in der Vergangenheit unterschätzt oder ‚pragmatisch‘ interpretiert“, hat er beobachtet. Dies habe dann zum Beispiel zu Konflikten mit den Behörden in den Bereichen Geldwäsche, Verbraucher- oder auch Datenschutz geführt. Fintechs verstanden sich als Disruptoren, als Marktakteure, die Innovationen schaffen, indem sie vorhandene Regeln hinterfragen. Doch gerade im Finanzsektor geraten Einleger- und Anlegerschutz oder auch die Geldwäsche-Regeln mit „Abkürzungen“ in Konflikt. „Ein großes Problem ist, dass die Regulierung oft nur auf Fehlentwicklungen reagiert“, beklagt Helke. Als pragmatischen Ansatz plädiert er dafür, mehr Möglichkeiten zu schaffen, in bestimmten Bereichen sogenannte „Regulatory Sandboxes“ zu etablieren, das heißt, Unternehmen für einen begrenzten Zeitraum und bis zu einer bestimmten Größe unter erleichterter Regulierung operieren zu lassen.
Auch Helke rechnet mit einer weiteren Konsolidierung im Fintech-Bereich: Die Unternehmen werden sich künftig schwerer damit tun, Wachstumskapital zu finden. Auch wird sich seiner Einschätzung nach das Innovationstempo verlangsamen. Und die kleinen agilen Marktakteure werden von größeren, reiferen und besser kapitalisierten Unternehmen übernommen.
Insgesamt dürfte sich das Angebot für Unternehmen und Privatkunden in Finanzfragen weiter verbessern. Traditionelle Anbieter werden sich, getrieben von Neo- und Challenger-Banken, noch stärker auf die unterschiedlichen Zielgruppen im Bereich der Unternehmenskunden und Selbstständigen einstellen. Sie werden ihre Angebote für den Apotheker genauso wie für das Ingenieurbüro oder den industriellen Maschinenbaubetrieb verbessern. Das bedeutet, dass die unterschiedlichen Zielgruppen künftig Angebote bei Finanzierung und Service finden werden, die noch besser als bisher auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Und sie werden immer stärker von Dienstleistern umgeben sein, die ihnen lästige und zeitaufwendige Arbeiten dank Digitalisierung und künstlicher Intelligenz abnehmen werden. So müssen Unternehmer weniger Arbeitszeit mit administrativen Aufgaben verbringen und können sich mehr auf das Wesentliche konzentrieren: ihr Unternehmen unternehmerisch voranzubringen.
Fintechs und klassische Banken werden sich künftig weiter aufeinander zubewegen und Bankkunden am Ende gar nicht mehr unterscheiden, welche eine Neobank ist und welche aus der klassischen Bankenwelt kommt.
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