Neue EuGH-Rechtsprechung zur Versicherungsteuer: Risikobelegenheit im Zulassungsmitgliedstaat bei Seeschiffen

Diese Rechtsprechung ist grds. für alle noch offenen Besteuerungszeiträume anzuwenden auf die Auslegung von § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VersStG.

1. Sachverhalt

In der vom EuGH mit Urteil vom 15.04.2021 entschiedenen Sache C-786/19 („The North of England P&I Association Ltd“) war Klägerin eine im Vereinigten Königreich ansässige Versicherungsgesellschaft, die weltweit Seeversicherungen anbietet. Die in dem Verfahren in Rede stehenden Versicherungsverträge wurden mit 14 Gesellschaften (GmbHs mit Sitz in Deutschland) geschlossen und decken verschiedene Risiken im Zusammenhang mit dem Betrieb von Seeschiffen, deren Eigentümer diese waren (die versicherten Risiken betreffen u.a. Haftpflicht, Rechtsschutz, Kasko und Krieg). Die betreffenden Seeschiffe waren alle in das vom Amtsgericht Hamburg geführte Schiffsregister eingetragen.

Den Eigentümer-GmbHs wurde die Genehmigung erteilt, die Flagge von Malta bzw. von Liberia zu führen. Während des Zeitraums der Ausflaggung blieben die Schiffe jedoch im deutschen Schiffsregister eingetragen.

Das FG Köln hatte dem EuGH mit Beschluss vom 22.02.2019 (Az. 2 K 434/16) die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob zur Bestimmung der Risikobelegenheit auf das amtliche Register zum Zweck des Eigentumsnachweises oder auf die vom Seeschiff geführte Flagge abzustellen sei. Streitgegenständlich war die Versicherungsteuer-Festsetzung für den Anmeldungszeitraum Dezember 2009.

2. Begründung der Entscheidung

Der Begriff „Zulassungsmitgliedstaat“ ist europarechtlich nicht definiert. Lt. EuGH ist eine autonome und einheitliche Auslegung dieses Begriffs vorzunehmen. Die deutsche Sprachfassung „Zulassungsmitgliedstaat“ sei mehrdeutig. Je nach Zusammenhang, in dem er verwendet wird, verweise er entweder auf den Mitgliedstaat der Registrierung/ Eintragung des Fahrzeugs oder den Mitgliedstaat seiner Zulassung/ Genehmigung zum Verkehr.

Die übrigen Sprachfassungen der Richtlinie verwenden demgegenüber entweder den Begriff des Mitgliedstaats der „Registrierung“ oder der „Eintragung“. Für Schiffe gebe es im Gegensatz zu den anderen von dieser Bestimmung erfassten Fahrzeugen keine unionsrechtliche Regelung für eine solche Zulassung oder Genehmigung. Außerdem verwenden alle Sprachfassungen der Richtlinie mit Ausnahme der deutschsprachigen Fassung entweder den Begriff des Mitgliedstaats der „Registrierung“ oder der „Eintragung“. Der Wortlaut der Richtlinie sei deshalb im Licht aller ihrer Sprachfassungen dahingehend auszulegen, dass er sich auf die Registrierung oder die Eintragung des Schiffes bezieht.

Zum Zweck der Richtlinien-Bestimmungen verweist der EuGH darauf, dass damit sowohl die Gefahr einer Doppelbesteuerung durch mehrere Mitgliedstaaten als auch die Gefahr einer Steuerumgehung beseitigt werden sollen. Mangels Harmonisierung der Vorschriften über die Registrierung von Schiffen auf Unionsebene lasse sich nicht ausschließen, dass ein Schiff in mehreren Mitgliedstaaten registriert sei. Die Rechtsvorschriften der meisten Mitgliedstaaten schlössen jedoch mehrere Eintragungen aus, die zu einer Mehrfachbesteuerung führen könnten (so auch § 14 Abs. 1 SchRegO). Demgegenüber würde eine Anknüpfung an den Flaggenstaat eine Doppelbesteuerung ausschließen. Jedoch würde die Anknüpfung an den Flaggenstaat die Gefahr eine Steuerumgehung nicht ausschließen, da insoweit eine weniger direkte und konkrete Verbindung zu dem Schiff bestehe. Daraus folge, dass der Rückgriff auf den Staat, der das Schiffsregister führt, besser geeignet sei, beiden Zielen der Richtlinie (Vermeidung der Risiken Doppelbesteuerung und Steuerumgehung) gerecht zu werden.

Zur Bestimmung des „Zulassungsmitgliedstaats“ sei außerdem entsprechend der Zielsetzung der Richtlinie auf konkrete und physische Merkmale abzustellen, damit jedem Risiko ein konkreter Anknüpfungspunkt entspricht, der seine Zuordnung zu einem bestimmten Mitgliedstaat ermöglicht (hier verweist der EuGH auf seine Entscheidung in der Sache „Kvaerner, C-191/99). Das Schiffsregister ermögliche eine solche Zuordnung nach konkreten und physischen Merkmalen durch die Verbindung zwischen dem Eigentümer dieses Schiffes und dem Mitgliedstaat, in dem das Schiff registriert ist. Dieses Kriterium lasse sich außerdem einheitlich auf „Fahrzeuge aller Art“ anwenden. Dagegen bestehe keine konkrete und unmittelbare Verbindung zwischen dem Flaggenstaat des Schiffs und der Haftung für das mit dem Schiff verbundene Risiko, die es ermöglichen würde, dieses Risiko im Hoheitsgebiet dieses Staates zu lokalisieren.