Am 17.5.2022 hat die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex die am 28.4.2022 beschlossene neue Fassung des Kodex auf ihrer Internetseite veröffentlicht und beim Bundesministerium der Justiz (BMJ) eingereicht. Der neue Kodex wird mit der Bekanntmachung durch das BMJ im elektronischen Bundesanzeiger in Kraft treten. Bis dahin bildet die Kodexfassung vom 16.12.2019 die Grundlage für die jährlichen Entsprechenserklärungen.
Die Kodexänderungen betreffen in erster Linie Grundsätze und Empfehlungen zur Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit bei der Leitung und Überwachung börsennotierter Unternehmen. Darüber hinaus wurden die Grundsätze und Empfehlungen an die Änderungen des Aktiengesetzes durch das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) und das Zweite Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II) angepasst.
Betonung der Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung
Bereits in der Präambel des neuen Kodex wird zum Ausdruck gebracht, dass die Organe im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bei der Führung und Überwachung des Unternehmens nicht nur die Auswirkungen von Sozial- und Umweltfaktoren auf das Unternehmen (outside-in Perspektive), sondern auch die Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf Mensch und Umwelt (inside-out Perspektive) berücksichtigen sollen.
In der neuen Empfehlung A.1 wird konkretisiert, dass der Vorstand sowohl die mit Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für das Unternehmen als auch die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf die Gesellschaft systematisch identifizieren und bewerten soll. Darüber hinaus sollen in der Unternehmensstrategie ökologische und soziale Ziele definiert und diese in der Unternehmensplanung berücksichtigt werden. Für eine wirksame Umsetzung der Unternehmensstrategie und eine entsprechende Steuerung soll das interne Kontroll- und Risikomanagementsystem nachhaltigkeitsbezogene Ziele abdecken und die Erfassung und Verarbeitung nachhaltigkeitsbezogener Daten mit einschließen (Empfehlung A.3).
Damit der Aufsichtsrat seiner Beratungs- und Überwachungsaufgabe auch in Nachhaltigkeitsfragen gerecht werden kann, soll sein Kompetenzprofil gemäß der Empfehlung C.1 zukünftig auch Expertise zu den für das Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsfragen umfassen. In der Kodexbegründung wird dazu ausgeführt, dass die Expertise nicht in einer Person gebündelt sein muss. Es sei vielmehr entscheidend, dass der Aufsichtsrat insgesamt in der Lage ist zu überwachen, wie die ökologische und soziale Nachhaltigkeit bei der strategischen Ausrichtung und der Unternehmensplanung berücksichtigt wird. In der neuen Empfehlung D.3 wird in Bezug auf den Sachverstand im Prüfungsausschuss auf den Gebieten der Rechnungslegung und der Abschlussprüfung klargestellt, dass dieser auch Kenntnisse der Nachhaltigkeitsberichterstattung und deren Prüfung umfasst.
Empfehlungen zum Internen Kontroll- und Risikomanagementsystem
Durch das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) wurde in § 91 Abs. 3 AktG eine ausdrückliche gesetzliche Pflicht für den Vorstand börsennotierter Aktiengesellschaften formuliert, ein im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens angemessenes und wirksames internes Kontroll- und Risikomanagementsystem einzurichten. In den Grundsätzen 4 und 5 des neuen Kodex wird dazu erläutert, dass das interne Kontrollsystem und das Risikomanagementsystem auch ein an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtetes Compliance Management System umfassen und dass die Angemessenheit und Wirksamkeit dieser Systeme deren interne Überwachung voraussetzen. Die interne Überwachung ist aus Sicht der Regierungskommission Aufgabe der Internen Revision (vgl. Kodexbegründung zu Empfehlung A.5). Darüber hinaus sind – so die Regierungskommission - von Zeit zu Zeit durchgeführte externe freiwillige Prüfungen nach IDW PS 980, 981 und 982 dazu geeignet, die Angemessenheit und Wirksamkeit der Systeme zusätzlich zu untermauern.
Die noch im Entwurf enthaltene Empfehlung, dass der Prüfungsausschuss sich nicht nur von der internen Prüfung der Angemessenheit und Wirksamkeit überzeugen, sondern auch externe Prüfungen des internen Revisionssystems veranlassen soll, ist im finalen Kodex nicht mehr enthalten. Verzichten Vorstand und Aufsichtsrat auf externe Prüfungen des internen Revisionssystems, muss insoweit keine Kodexabweichung erklärt werden.
Auswirkungen auf die Lageberichterstattung und die Abschlussprüfung
Gemäß der neuen Empfehlung A.5 soll der Vorstand zukünftig die wesentlichen Merkmale des gesamten internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems im Lagebericht beschreiben und dort auch zur Angemessenheit und Wirksamkeit dieser Systeme Stellung nehmen. Dies geht über die von §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB für kapitalmarktorientierte Unternehmen geforderten Angaben hinaus, die sich nur auf die rechnungslegungsbezogenen Teile der Systeme beziehen und keine Aussagen zur Angemessenheit oder Wirksamkeit umfassen.
Da es sich bei der vom Kodex geforderten Stellungnahme - wie im Übrigen auch bei den weitergehenden Beschreibungen zum internen Kontrollsystem und zum Risikomanagementsystem - um weder vom Gesetz noch von DRS 20 geforderte lageberichtsfremde Angaben handelt, sind diese Angaben nicht automatisch auch Gegenstand der Abschlussprüfung. Deshalb sollte zu diesen Angaben und deren Einbeziehung in die Abschlussprüfung frühzeitig eine Abstimmung mit dem Abschlussprüfer erfolgen. Während eine weitergehende Beschreibung der Systeme ohne Weiteres in die Abschlussprüfung einbezogen werden kann, würde eine uneingeschränkte Positivaussage des Vorstands zur Angemessenheit und Wirksamkeit der von ihm implementierten Systeme den Rahmen einer Abschlussprüfung sprengen. Die Regierungskommission geht deshalb davon aus, dass sich diese Stellungnahme des Vorstands zur Angemessenheit und Wirksamkeit des internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems regelmäßig darauf beziehen wird, worin die interne Überwachung und ggf. externe Prüfung der Systeme bestanden haben (vgl. Kodexbegründung zu Empfehlung A.5). Solche Darstellungen können - anders als eine pauschale Aussage zur Angemessenheit und Wirksamkeit – im Rahmen der Abschlussprüfung extern überprüft werden.
Qualifikationsmatrix und weitere Angaben in der Erklärung zur Unternehmensführung
Seit dem FISG müssen Unternehmen von öffentlichem Interesse einen Prüfungsausschuss einrichten, in dem mindestens ein Mitglied über Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung und mindestens ein weiteres Mitglied über Sachverstand auf dem Gebiet der Abschlussprüfung verfügt. Gemäß der neuen Empfehlung D.3 sollen in der Erklärung zur Unternehmensführung die betreffenden Mitglieder genannt und nähere Angaben zum Sachverstand der beiden Finanzexperten im Prüfungsausschuss auf dem Gebiet der Rechnungslegung und der Abschlussprüfung gemacht werden.
Eine weitere, auch bisher schon im Kodex enthaltene Empfehlung betrifft die angestrebten Ziele für die Zusammensetzung und das Kompetenzprofils des Aufsichtsrats (C.1). Neu ist, dass in der Erklärung zur Unternehmensführung der Stand der Umsetzung zukünftig in Form einer Qualifikationsmatrix offengelegt werden soll.
Bericht des Aufsichtsrats
Anstelle der bisherigen Anregung, dass die virtuelle Teilnahme an Präsenzsitzungen nicht die Regel sein sollte, soll nun im Bericht des Aufsichtsrats angegeben werden, wie viele Sitzungen des Aufsichtsrats und der Ausschüsse in Präsenz oder als Video- oder Telefonkonferenzen durchgeführt wurden (Empfehlung D.7).
Zusammenarbeit mit dem Abschlussprüfer
Die Empfehlung D.10 enthält neue Soll-Vorschriften zur Kommunikation des Prüfungsausschusses und des Prüfungsausschussvorsitzenden mit dem Abschlussprüfer. Die Kommunikation über die Einschätzung des Prüfungsrisikos, die Prüfungsstrategie, die Prüfungsplanung und die Prüfungsergebnisse sowie der empfohlene laufende Austausch über den Fortgang der Abschlussprüfung sollten schon bisher gelebte Praxis sein. Darüber hinaus wird in Ergänzung der gesetzlichen Regelung des § 109 Abs. 1 Satz 3 AktG nun empfohlen, dass sich der Prüfungsausschuss regelmäßig mit dem Abschlussprüfer auch ohne den Vorstand beraten soll.
Erstmalige Anwendung und Handlungsbedarf
Nach dem Inkrafttreten durch die Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger ist der neue Kodex erstmals bei der nächsten turnusmäßigen Entsprechenserklärung zu berücksichtigen. Die Kodexänderungen sind in dieser Erklärung dann zunächst allein für die zukunftsgerichteten Aussagen der Entsprechenserklärung relevant.
Soll den Empfehlungen des DCGK in der Fassung vom 28. April 2022 zukünftig entsprochen werden, muss möglicher Handlungsbedarf in Bezug auf die Kodexänderungen geprüft werden. Dies betrifft insbesondere die angemessene Berücksichtigung ökologischer und sozialer Ziele in der Unternehmensstrategie und der Unternehmensplanung (Empfehlung A.1) und die Erfassung und Verarbeitung nachhaltigkeitsbezogener Daten im internen Kontroll- und Risikomanagementsystem (Empfehlung A.3).
Für den Aufsichtsrat sind im Hinblick auf die empfohlene Expertise in den für das Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsfragen (Empfehlung C.1) ggf. Qualifizierungsmaßnahmen zu treffen. Dies trifft auch auf die beiden Finanzexperten im Prüfungsausschuss zu, deren Kompetenzprofil Sachverstand in der Nachhaltigkeitsberichterstattung bzw. deren Prüfung einschließen soll (Empfehlung D.3). Darüber hinaus gilt es, die Qualifikationsmatrix für die Erklärung zur Unternehmensführung zu erarbeiten. Ein Muster gibt der neue Kodex nicht vor. Soll keine Abweichung vom Kodex erklärt werden, muss die Matrix bereits in der ersten Erklärung zur Unternehmensführung enthalten sein, die der Abgabe der zukunftsbezogenen Entsprechenserklärung in Bezug auf den DCGK 2022 folgt. Dies wird bei den meisten Unternehmen bereits die Erklärung zur Unternehmensführung für das Geschäftsjahr 2022 sein.
Nicht zuletzt sollte mit dem Abschlussprüfer frühzeitig eine Abstimmung zur Prüfung (und Prüfbarkeit) der Stellungnahme des Vorstands zur Angemessenheit und Wirksamkeit des internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems im Lagebericht erfolgen. Auch hier gilt, dass bei den meisten Unternehmen die Stellungnahme des Vorstands bereits im Lagebericht für das Geschäftsjahr 2022 enthalten sein muss, wenn keine Abweichung vom Kodex erklärt werden soll.