Festsetzungsfrist kann auch mit Abgabe der Steuererklärung beim unzuständigen Finanzamt beginnen

Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die vierjährige Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO). Der BFH positioniert sich in seinem Urteil vom 14.12.2021 (Az. VII R 31/19) dazu, wann die Festsetzungsfrist im Fall der Abgabe der Steuererklärung bei einem unzuständigen Finanzamt ausnahmsweise zu laufen beginnen kann.

Im Streitfall wurden die von einem Architekten aus seinem Einzelunternehmen erzielten Einkünfte durch das hierfür örtlich zuständige Finanzamt gesondert festgestellt. Die Einkommensteuerveranlagung oblag hingegen einem anderen Wohnsitzfinanzamt.

Mangels Abgabe der vorab angeforderten Feststellungserklärung für 2010 schätzte das insoweit für das Einzelunternehmen örtlich zuständige Finanzamt im September 2011 die Einkünfte des Architekten auf EUR 1.650.000. Im Oktober 2011 wurden sodann bei diesem sowohl Feststellungs- als auch Einkommensteuererklärung für 2010 eingereicht. Daraufhin erließ es einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid, der die fraglichen Einkünfte auf EUR 975.864 bezifferte. Die Einkommensteuererklärung nahm es lediglich zu den Akten, leitete die Erklärung also weder an das Wohnsitzfinanzamt weiter noch informierte es über deren Eingang.

Das Wohnsitzfinanzamt hatte bereits im April 2011 einen Einkommensteuerbescheid für 2010 erlassen, darin die Einkünfte des Architekten auf EUR 0 geschätzt und die Einkommensteuer ohne Vorbehalt der Nachprüfung auf ebenfalls EUR 0 festgesetzt. Die vom für die gesonderte Feststellung zuständigen Finanzamt übersandten Mitteilungen wertete das Wohnsitzfinanzamt zunächst nicht aus. Erst im Oktober 2016 erließ es einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid für 2010. Der Steuerpflichtige machte den Eintritt der Festsetzungsverjährung geltend: Die Einkommensteuererklärung für 2010 sei bereits im Oktober 2011 abgegeben worden und somit habe die vierjährige Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs 2011 zu laufen begonnen; mit Ablauf des Kalenderjahrs 2015 sei also Festsetzungsverjährung eingetreten. Finanzgericht und BFH sahen dies genauso.

Grundsätzlich wird der Beginn der Festsetzungsfrist nur durch Steuererklärungsabgabe beim zuständigen Finanzamt ausgelöst. So soll verhindert werden, dass die Festsetzungsfrist bereits zu laufen beginnt, bevor die (zuständige) Finanzbehörde etwas vom Entstehen und der Höhe des Steueranspruchs erfahren hat. Wird die Steuererklärung bei einem unzuständigen Finanzamt eingereicht, wird der Beginn der Festsetzungsfrist erst dann ausgelöst, wenn die zuständige Finanzbehörde die Erklärung erhält. Denn erst dann ist diese in der Lage, tätig zu werden und die Veranlagung innerhalb der gesetzlichen Frist durchzuführen.

Vorliegend ist nach Auffassung des BFH aber auf die besonderen Umstände des Streitfalls abzustellen, weshalb auch die Abgabe der Steuererklärung beim unzuständigen Finanzamt ausnahmsweise den Beginn der Festsetzungsfrist auslöste. Denn das für die Einkommensteuerveranlagung nicht zuständige Finanzamt verletzte im Streitfall seine Fürsorgepflicht i.S.d. § 89 Abs. 1 AO gegenüber dem Steuerpflichtigen so gravierend, indem es die im Oktober 2011 eingereichte Einkommensteuererklärung nur zu den Akten nahm, ohne diese zeitnah an das bekanntermaßen zuständige Wohnsitzfinanzamt weiterzuleiten oder den Steuerpflichtigen zumindest darüber zu informieren, dass keine entsprechende Weiterleitung der Einkommensteuererklärung erfolgte. Dieses schuldhafte Handeln der unzuständigen Finanzbehörde muss sich das Wohnsitzfinanzamt zurechnen lassen. Die Finanzverwaltung kann sich deshalb nicht dadurch exkulpieren, dass die Einkommensteuererklärung bei einem unzuständigen Finanzamt abgegeben wurde.

Der Steuerpflichtige ist letztlich so zu behandeln, als habe das für die Einkommensteuerveranlagung nicht zuständige Finanzamt die Einkommensteuererklärung noch im Oktober 2011 an das zuständige Wohnsitzfinanzamt weitergeleitet mit der Folge, dass die vierjährige Festsetzungsfrist am 31.12.2015 abgelaufen und eine geänderte Veranlagung im Oktober 2016 unzulässig war.

Hinweis:

Auch wenn durch das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz weitergehende Verlängerungen der Steuererklärungsfristen beschlossen wurden, kann verfahrensrechtlich eine frühzeitige Abgabe der Steuererklärung sinnvoll sein. Hierdurch wird im Regelfall eine frühzeitigere Festsetzungsverjährung erreicht, die den jeweiligen Veranlagungszeitraum bestandskräftig werden lässt. Dies sorgt für Rechtssicherheit beim Steuerpflichtigen.

Insbesondere bei verschiedenen abzugebenden Steuererklärungen sollten die Zuständigkeiten immer genau geprüft und die Erklärungen dann beim zuständigen Finanzamt eingereicht werden. Zwar ist eine unzuständige Finanzbehörde verpflichtet, die bei ihr eingereichte Erklärung im Zuge eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Etwaige Risiken der rechtzeitigen bzw. verzögerten Weiterleitung an die zuständige Behörde treffen aber den Steuerpflichtigen.

 

Abonnieren Sie die neuesten Nachrichten von BDO!

Please fill out the following form to access the download.