Unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch das Finanzamt

Amtsträger der Finanzbehörde sowie zum Verfahren hinzugezogene Sachverständige dürfen Grundstücke und Räumlichkeiten des Steuerpflichtigen betreten, soweit dies erforderlich ist, um im Besteuerungsinteresse Feststellungen zu treffen, § 99 AO. Dabei sollen die von der Betretung betroffenen Personen angemessene Zeit vorher benachrichtigt werden. Ferner gilt für Wohnräume vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich geschützten Unverletzlichkeit der Wohnung eine weitreichende Einschränkung. Zur Rechtsfrage, ob eine unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung zur Überprüfung der Angaben zu einem häuslichen Arbeitszimmer den gesetzlichen Grundsätzen entspricht, hat sich der BFH in seinem Urteil vom 12.07.2022 (Az. VIII R 8/19) geäußert.

Im Streitfall machte eine Unternehmensberaterin erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geltend. Auf Nachfrage des Finanzamts reichte sie eine Skizze der Wohnung ein, die der Sachbearbeiter des Finanzamts für klärungsbedürftig hielt. Er bat daher einen sog. Flankenschutzprüfer, also einen Beamten der Steuerfahndung, um Besichtigung der Wohnung. Dieser erschien unangekündigt an der Wohnungstür der Unternehmensberaterin, wies sich als Steuerfahnder aus und betrat unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren die Wohnung; die Unternehmensberaterin war einverstanden. Der Flankenschutzprüfer stellte fest, dass das Arbeitszimmer wie angegeben vorhanden war. In seinem Vermerk an den Veranlagungsbezirk wies er zudem auf den beabsichtigten Umzug der Unternehmensberaterin in die gegenüberliegende Wohnung hin, weshalb abzuwarten sei, welche Raumaufteilung sich dann ergebe. Vor diesem Hintergrund legte die Unternehmensberaterin Einspruch gegen die durchgeführte Wohnungsbesichtigung ein. Der BFH stufte die Maßnahmen des Finanzamts letztlich als unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ein.

Für ein wie hier durchzuführendes Feststellungsverfahren – die fragliche Maßnahme war längst beendet – ist zunächst ein Feststellungsinteresse erforderlich. Dafür bestanden zwar keine ausreichenden Rehabilitationsgründe und der BFH sah auch keinen tiefgreifenden Grundrechtseingriff. Allerdings nahm er eine konkrete Wiederholungsgefahr an. Denn der Vermerk des Flankenschutzprüfers lässt nach dem beabsichtigten Umzug eine Überprüfung in gleicher Form – unangekündigt durch einen Beamten der Steuerfahndung – vermuten. Damit konnte der BFH in die Beurteilung der fraglichen Maßnahme an sich einsteigen und beurteilte eine solche Überprüfung als Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Denn dem Finanzamt standen gleich geeignete, aber mildere Mittel wie ein weiteres schriftliches Auskunftsersuchen oder eine Ortsbesichtigung nach vorheriger Benachrichtigung durch einen Mitarbeiter der Veranlagungsstelle zur Verfügung.

Auch wenn das Finanzamt das nach seiner Auffassung zweckmäßigste Mittel für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen auswählen darf, ist zu berücksichtigen, ob der Steuerpflichtige den steuerlich maßgeblichen Sachverhalt auf Nachfrage freiwillig offenlegt. So wäre eine Ortsbesichtigung im Streitfall erst dann erforderlich gewesen, wenn die Unklarheiten nicht durch weitere Auskünfte der Unternehmensberaterin hätten aufgeklärt werden können. Über eine Ortsbesichtigung wäre sie zudem angemessene Zeit vor dem Betreten zu benachrichtigen gewesen. Dies hätte nur ausnahmsweise unterbleiben dürfen, wenn anderenfalls der Zweck der Maßnahme gefährdet oder gar vereitelt würde, z.B. weil das Besichtigungsobjekt verändert oder weggeschafft werden könnte. Damit war im Streitfall aber nicht zu rechnen. Es darf ferner nicht zu Ungunsten des Steuerpflichtigen pauschal angenommen werden, dass eine vorherige Benachrichtigung generell dazu benutzt wird, das häusliche Arbeitszimmer noch entsprechend herzurichten. Das Finanzamt hatte daher bei seiner Ermessensentscheidung die Tragweite des Grundrechtsschutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 Abs. 1 GG, wozu auch das häusliche Arbeitszimmer gehört, verkannt und somit rechtswidrig gehandelt.

Dass die Ortsbesichtigung im Streitfall von einem Flankenschutzprüfer und nicht durch einen Mitarbeiter der Veranlagungsstelle durchgeführt wurde, kann zudem das persönliche Ansehen der Unternehmensberaterin gefährden und ist daher ebenfalls unangemessen.

Hinweis:

Der BFH hat erstmalig zu dieser Thematik entschieden. Erfreulicherweise stärkt er mit seinem Urteil die Rechte von Steuerpflichtigen und schafft Klarheit über die Voraussetzungen zu einer (unangekündigten) Wohnungsbesichtigung durch das Finanzamt.

 

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