Wegfall des Abzinsungsgebots für unverzinsliche Verbindlichkeiten

Am Ende eines jeden Jahres sind Verbindlichkeiten mit dem jeweiligen Erfüllungsbetrag zu passivieren. Seit Verabschiedung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 31.03.1999 sind unverzinsliche Verbindlichkeiten in der Steuerbilanz mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen und entsprechend mit dem Barwert zu bewerten. Davon ausgenommen sind betriebliche Schulden, deren Laufzeit weniger als 12 Monate beträgt oder auf einer Anzahlung oder Vorauszahlung beruhen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, werden Verbindlichkeiten in der Handelsbilanz generell mit dem Erfüllungsbetrag bewertet, also nicht abgezinst. Diese Ungleichheit wird mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz vom 19. Juni 2022 - auch zwecks Bürokratieabbau und Steuervereinfachung - beseitigt.

Nach dem neugefassten § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG werden ab dem 01.01.2023 Verbindlichkeiten mit dem Nennwert (= Rückzahlungsbetrag) bewertet. Gemäß der Gesetzesbegründung könnte das bisherige Abzinsungsgebot sachlich nur gerechtfertigt werden, wenn eine Verpflichtung zwar formal unverzinslich war, aber tatsächlich auch einen Zinsanteil enthielt. Vor dem Hintergrund der (noch) aktuellen Niedrigzinsphase mit Marktkursen von 0 % oder sogar negativen Verzinsungen, ist das bisherige Abzinsungsgebot nicht mehr haltbar und wird deshalb aufgehoben.

Auf die Abzinsungsverpflichtung kann auch vor dem 01.01.2023 für alle noch nicht bestandskräftigen Veranlagungszeiträume verzichtet werden. Dafür ist lediglich ein formloser Antrag notwendig, der jedoch nur einheitlich für alle betroffenen Wirtschaftsjahre gestellt werden kann.

Bereits passivierte unverzinsliche Verbindlichkeiten aus den Vorjahren können gewinnmindernd in Höhe des noch bestehenden Abzinsungsvolumens aufgelöst werden. Für alle künftigen Wirtschaftsjahre bedeutet der Wegfall eine erhebliche Bewertungserleichterung für die Steuerbilanz. Zusätzlich wird diesbezüglich in der Handelsbilanz der Ausweis von latenten Steuern entfallen. Davon abzugrenzen sind jedoch unverzinsliche Verbindlichkeiten mit einem verdeckten Zins (z.B. bei fremden Dritten). Für diese Verbindlichkeiten können Rechnungsabgrenzungsposten gebildet werden, die wiederrum zu unterschiedlichen Bewertungsansätzen in der Handels- sowie Steuerbilanz führen können.

Hinweise:

Auch nach der Gesetzesänderung bleiben das Abzinsungsgebot sowie der Zinssatz von 5,5 % für Rückstellungen unverändert bestehen.

Entsprechendes gilt für unverzinsliche Forderungen, deren Laufzeit mehr als ein Jahr beträgt. Rechtsprechung und Finanzverwaltung wenden für die Barwertermittlung für steuerbilanzielle Zwecke in Anlehnung an § 12 Abs. 3 BewG einen Abzinsungssatz von 5,5 % an; handelsbilanziell erfolgt eine Abzinsung mit fristadäquatem Marktzins.

Ist die unverzinsliche Forderung dem Privatvermögen einer natürlichen Person zuzuordnen, hat eine Aufteilung des Rückzahlungsbetrags in einen nicht steuerbaren Tilgungsanteil und einen steuerbaren Ertragsanteil zu erfolgen. Dabei kommt ebenfalls § 12 Abs. 3 BewG mit einem Abzinsungssatz von 5,5 % zur Anwendung. Der steuerbare Ertragsanteil stellt Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) dar und ist im Zeitpunkt der Rückzahlung des gesamten Betrags oder im Fall einer Ratenzahlung jährlich zu versteuern. Nach einschlägiger BFH-Rechtsprechung kann eine unverzinsliche Forderung (= unentgeltliche Überlassung einer Kapitalsumme) zudem den Tatbestand einer Schenkung i.S.d. § 7 Abs. 1 ErbStG erfüllen. Beide zuvor genannten Aspekte sprechen dafür, in der Praxis die Vereinbarung zinsloser Darlehen zu vermeiden.

Der typisierte Abzinsungssatz von 5,5 % für Rückstellungen sowie für unverzinsliche Forderungen erscheint wohl der Höhe nach auch nicht mehr sachgerecht; es sind die aktuellen Entwicklungen zu beobachten.