Wirksamkeit von Steuerbescheiden im Insolvenzverfahren

Steuerbescheide dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ergehen, wenn darin sog. Insolvenzforderungen (= Forderungen, die bereits im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestanden) festgesetzt werden. Das Finanzamt kann seine Insolvenzforderungen ab diesem Zeitpunkt - wie jeder andere Insolvenzgläubiger auch - nur noch nach Maßgabe des Insolvenzrechts verfolgen und ist daher gehalten, diese zur Insolvenztabelle anzumelden, um an der gemeinschaftlichen Befriedigung im Insolvenzverfahren teilzunehmen. Dies gilt auch für Bescheide, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe der zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten.

Ein dennoch erlassener Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist unwirksam. Hiervon ausgenommen sind jedoch Steuerbescheide, durch die z.B. die Steuer auf null Euro oder eine negative Umsatzsteuer, also ein Erstattungsanspruch gegenüber dem zuständigen Finanzamt, festgesetzt werden. In beiden Fällen fehlt es an Insolvenzforderungen, die zur Tabelle anzumelden sind, und somit an der abstrakten Eignung des Bescheids, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Umstritten war bisher, ob Steuerbescheide über Insolvenzforderungen ergehen dürfen, durch die eine positive Steuer festgesetzt wird, es jedoch aufgrund von Steueranrechnungsbeträgen wie bspw. Lohnsteuer oder Kapitalertragsteuer zu einer Steuererstattung zugunsten der Insolvenzmasse kommt.

In dem durch das BFH-Urteil vom 05.04.2022 (Az. IX R 27/18) entschiedenen Streitfall reichte ein Insolvenzverwalter eine Einkommensteuererklärung beim Finanzamt ein. Dieses setzte die Einkommensteuer erklärungsgemäß i.H.v. EUR 29.000 fest. Unter Berücksichtigung einbehaltener Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer ergab sich ein Erstattungsbetrag i.H.v. EUR 2.500. Der Insolvenzverwalter machte geltend, dass der eine Steuer festsetzende Bescheid nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr hätte ergehen dürfen und somit nichtig sei; dass sich im Abrechnungsteil eine Erstattung ergab, sei irrelevant. Das erstinstanzliche Finanzgericht und der BFH sahen dies anders und bestätigten die bisherige Praxis der Finanzverwaltung.

Danach stellt ein sog. Erstattungsbescheid wie ein Nullbescheid oder ein Umsatzsteuerbescheid, mit dem eine negative Steuer festgesetzt wird und aus dem sich keine Zahllast ergibt, einen weiteren Ausnahmefall zur Wirksamkeit von Steuerbescheiden im Insolvenzverfahren dar. Denn das Finanzamt hatte damit keine Insolvenzforderung, sondern einen Erstattungsbetrag festgesetzt, der nicht zur Insolvenztabelle anzumelden war. Einem derartigen Bescheid fehlt zudem die abstrakte Eignung, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken bzw. Gläubigerinteressen vor dem Hintergrund der Schutzbedürfnisse im Insolvenzverfahren zu beeinträchtigen.

Dass durch eine denkbare spätere Änderung – etwa im Fall einer rechtswidrig überhöhten Steueranrechnung – eine dann durch ggf. zwischenzeitlich bestandskräftigen Steuerbescheid titulierte Insolvenzforderung entstehen könnte, ist nach BFH-Auffassung irrelevant. Denn diese Änderung unterliegt dann den insolvenzrechtlichen Einschränkungen mit der Folge, dass die Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumelden wäre.

Hinweis:

Das Besprechungsurteil betrifft das vielschichtige Spannungsverhältnis zwischen Steuer- und Insolvenzrecht, steht aber in Einklang mit einer aktuellen BGH-Entscheidung vom 13.01.2022 (Az. IX ZR 64/21). Danach gehört ein Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung zur Insolvenzmasse und nicht zum insolvenzfreien Neuerwerb. Die Anreicherung der Insolvenzmasse durch Steuererstattungsansprüche des Insolvenzschuldners beugt i.d.R. mangels Masse nicht eröffneten oder wegen Masseunzulänglichkeit eingestellten Verfahren vor.

 

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