Entwurf der „Unshell“ Richtlinie der EU gegen die missbräuchliche Nutzung von Briefkastenfirmen (ATAD 3)

Potenziell betroffen sind alle Unternehmen unabhängig ihrer Rechtsform, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und in einem EU-Mitgliedstaat ansässig sind. Nicht erfasst sind dagegen – nach deutschem Verständnis – Personengesellschaften, da diese nicht steuerlich ansässig sein können. Im Fokus der Richtlinie stehen jedoch sog. „shell entities“, also Unternehmen, die ohne ein Mindestmaß an Substanz zum Erlangen von Steuervorteilen missbraucht werden.

Im Hinblick auf eine effektive Verhinderung dieses Missbrauchs steht seitens der Finanzverwaltung eine mehrstufige Substanzprüfung im Mittelpunkt der Überlegungen und Maßnahmen. Der Substanztest soll substanzschwache Unternehmen erkennen lassen, um deren Tätigkeiten und Funktionen konkret beurteilen zu können, dadurch einen Missbrauch von Steuervorteilen zu verhindern und somit eine faire und effektive Besteuerung innerhalb des Europäischen Binnenmarktes sicherstellen.

Der Vorschlag der neuen Richtlinie soll bis zum 30. Juni 2023 im nationalen Recht umgesetzt und voraussichtlich ab dem 1. Januar 2024 erstmals anwendbar sein.

Anwendungsbereich

Die Substanzprüfung erstreckt sich auf alle Unternehmen, die innerhalb der Europäischen Union ansässig sind und folglich die Berechtigung besitzen, eine steuerliche Ansässigkeitsbescheinigung zu erhalten. Denn diese ist regelmäßig Voraussetzung für Steuererleichterungen oder -vorteile.

Ausgenommen von der Substanzprüfung sind Unternehmen, bei denen nach Auffassung des Richtliniengebers kein Risiko besteht, dass sie missbräuchlich zwischengeschaltet werden.  Hierbei handelt es sich um folgende Unternehmen:

  • börsennotierte Unternehmen;
  • regulierte Finanzinstitute;
  • Holdinggesellschaften, die Anteile an operativen Gesellschaften halten, die im selben Mitgliedstaat tätig sind, sofern auch die wirtschaftlichen Eigentümer im selben Mitgliedstaat ansässig sind;
  • Holdinggesellschaften, die steuerlich in demselben Mitgliedstaat ansässig sind wie ihre Anteilseigner bzw. die oberste Muttergesellschaft des Konzerns;
  • Gesellschaften mit mind. 5 eigenen Mitarbeitern in Vollzeit, wenn diese ausschließlich Tätigkeiten nachgehen, mit denen die passiven Einkünfte erzielt werden.  

Substanztest

Im ersten Prüfungsschritt erfolgt die Identifikation mittels dreier Kriterien. Ein Unternehmen kann möglicherweise als „Briefkastenfirma“ gelten, wenn es in den beiden vorangegangenen Wirtschaftsjahren (d. h. planmäßig ab dem Wirtschaftsjahr 2022) jeweils kumulativ folgende Merkmale aufweist:

  • Die Einnahmen des zu betrachtenden ausländischen Unternehmens haben zu mindestens 75 % aus sog. relevanten Einnahmen („relevant income“ = passive Einkünfte wie Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren u. ä.) bestanden,
  • es handelt sich um ein grenzüberschreitend tätiges Unternehmen. Dies ist anhand der Belegenheit des Betriebsvermögens oder der Herkunft der „relevanten Einnahmen“ festzustellen und
  • das Unternehmen hat die Verwaltung des Tagesgeschäfts sowie die Entscheidungsfindung hinsichtlich wichtiger Funktionen ausgelagert (Substanzerfordernis).

Erfüllt ein Unternehmen diese Kriterien des ersten Prüfschrittes, unterliegt es einer Informationspflicht gegenüber den Finanzbehörden des Ansässigkeitsstaates und hat für den zweiten Prüfschritt im Rahmen der jährlichen Steuererklärung Angaben zu seiner Substanz offenzulegen. Dafür hat das Unternehmen eigene Geschäftsräumlichkeiten oder das Recht zur exklusiven Nutzung von Räumlichkeiten (d. h. ein entsprechender Mietvertrag), ein eigenes aktives Bankkonto innerhalb der EU sowie eigenes Personal nachzuweisen.

Kann das Unternehmen in diesem Prüfschritt nicht die notwendige Mindestsubstanz ausreichend darlegen, wird das Vorliegen einer Briefkastengesellschaft im Sinne der Richtline zunächst unterstellt. Allerdings hat die Gesellschaft dann die Möglichkeit der Gegenbeweisführung und kann die Annahme der Finanzverwaltung mit einem Nachweis widerlegen, dass zum einen wirtschaftliche Gründe und nicht die Erlangung eines Steuervorteils für die Einschaltung der Gesellschaft ursächlich sind. Zum anderen sind Informationen über die beschäftigten Arbeitnehmer zu erbringen. Schließlich sind Nachweise darüber zu erbringen, wo die maßgebenden Entscheidungen im Hinblick auf die Geschäftstätigkeit getroffen werden.

Diese günstige Feststellung gilt dann für einen Zeitraum von einem Jahr, der auf bis zu fünf Jahre verlängert werden kann, sofern sich die tatsächlichen Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft nicht verändern.

Ob mit den vorstehenden Regelungen ggf. die Anti-Treaty-Shopping Regelung des § 50d Abs. 3 EStG abgelöst werden sollen ist derzeit noch offen. Die ATAD 3 Regelungen könnten auch neben die Regelungen des § 50d Abs. 3 EStG treten.

Konsequenzen bei Vorliegen einer substanzlosen Gesellschaft:

Wird die Vermutung des Richtlinienentwurfs einer substanzlosen Gesellschaft nicht widerlegt, wird das Unternehmen als Briefkastenfirma klassifiziert. Infolgedessen ergeben sich erhebliche steuerliche Konsequenzen:

  • Der Entwurf sieht die generelle Nichtanwendbarkeit von DBA und EU-Richtlinien (z. B. Mutter-Tochter-Richtlinie sowie Zins- und Lizenz-Richtlinie) vor. Folglich werden für diese Gesellschaften künftig keine Vorteile hieraus mehr gewährt.
  • Der „Briefkastenfirma“ selbst sollen Ansässigkeitsbescheinigungen nicht oder nur mit einem Hinweis auf die Qualifikation als „Briefkastenfirma“ ausgestellt werden.
  • In Bezug auf ihre Anteilseigner wird die „Briefkastenfirma“ als steuerlich inexistent behandelt; Vermögen bzw. Einkommen werden also so besteuert, als würden sie vom Anteilseigner direkt gehalten bzw. erzielt.

Handlungsempfehlung

Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission dürfte erhebliche Auswirkungen und steuerliche Einschränkungen für ausländische substanzschwache Gesellschaften mit sich bringen. Aus den Erfahrungen mit der ATAD 2 kann geschlossen werden, dass auch dieser Entwurf mehr oder weniger in der vorgeschlagenen Form durch den ECOFIN verabschiedet werden wird. Es empfiehlt sich daher, frühzeitig die bestehenden Strukturen zu analysieren und die Auswirkungen dieser Verschärfung zu prüfen. In diesem Zusammenhang sollten zudem mögliche Umstrukturierungen oder auch die vorgelagerte Prüfung und nötigenfalls Einhaltung der Substanzvoraussetzungen ins Auge gefasst werden.

Mit unserer umfassenden Expertise steht das Team der BDO AG Ihnen gerne zur Seite. Sprechen Sie uns gerne an.