Zweifel an Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste

Die Berücksichtigung von Verlusten innerhalb der Einkünfte aus Kapitalvermögen ist aufgrund gesonderter Verlustverrechnungskreise im Vergleich zu den anderen Einkunftsarten erheblich eingeschränkt.

Einkünfte aus Kapitalvermögen werden grundsätzlich abgeltend mit einem speziellen Steuersatz von 25 % besteuert; daher können Verluste aus Kapitalvermögen auch nur mit Gewinnen aus Kapitalvermögen verrechnet werden. Zusätzlich besteht eine gesonderte Beschränkung für Verluste aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Aktien, welche ausschließlich mit Gewinnen entsprechender Aktienveräußerungen ausgeglichen werden dürfen. Der BFH moniert mit seinem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 17.11.2020 (Az. VIII R 11/18) die Verfassungsmäßigkeit dieser Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste und hat dem BVerfG die Frage zur Klärung vorgelegt.

Im Streitfall erzielte ein Kapitalanleger aus der Veräußerung von Aktien ausschließlich Verluste. Er beantragte, diese Verluste mit seinen sonstigen Einkünften aus Kapitalvermögen, die nicht aus Aktienveräußerungsgewinnen bestanden, zu verrechnen. Das Finanzamt lehnte dies ab und behandelte die Verluste als nicht ausgleichsfähig, was das Finanzgericht auch bestätigte. Der BFH machte nun entsprechende Zweifel geltend.

Die einschlägige Norm des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG) bezüglich der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste in der im Streitjahr 2012 geltenden Fassung verstößt nach Auffassung des BFH gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der eindeutige Gesetzeswortlaut sieht für Verluste aus Aktienveräußerungen lediglich einen Ausgleich mit Gewinnen aus Aktienveräußerungen vor; er beinhaltet ausdrücklich keine Verrechnungsmöglichkeit zwischen Verlusten aus Aktienveräußerungen mit anderen positiven Erträgen aus Aktien wie beispielsweise Dividenden, obwohl es sich insoweit um dieselbe Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit handelt und Aktienkursverluste – insbesondere bei zeitlicher Nähe der Veräußerung zum Dividendenstichtag – auch auf zuvor erfolgten Ausschüttungen beruhen können. Die Vorschrift behandelt also Steuerpflichtige bei der Bestimmung ihrer steuerpflichtigen Einkünfte unterschiedlich, je nachdem, ob sie Verluste aus der Veräußerung von Aktien oder aus der Veräußerung anderer (aktienbasierter) Kapitalanlagen wie beispielsweise Aktienfondsanteile, Aktienzertifikate oder Aktienoptionen erzielt haben, obwohl zwischen diesen Gruppen keine Unterschiede in deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit bestehen.

Folge der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste ist, dass vorhandene positive Kapitalerträge, die keine Aktienveräußerungsgewinne sind, weiter steuerlich belastet bleiben. Der Ausgleich der Aktienveräußerungsverluste verschiebt sich auf den ungewissen zukünftigen Zeitpunkt, zu dem entsprechende Aktienveräußerungsgewinne vorliegen. Somit besteht für den Steuerpflichtigen die Gefahr einer weitgehenden Nichtverrechenbarkeit der Verluste, wenn nach der Realisation eines Aktienveräußerungsverlusts keine gleichartigen Gewinne nachfolgen.

Es bedarf daher einer gesonderten verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dafür, innerhalb der schedulär besteuerten Kapitaleinkünfte etwaige Aktienveräußerungsverluste wiederum anders als die übrigen negativen Einkünfte aus Kapitalvermögen zu behandeln. Der Gesetzgeber hat die Einführung der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste maßgeblich mit den von Spekulationsgeschäften mit Aktien ausgehenden erheblichen Risiken für die öffentlichen Haushalte begründet; Verluste aus der Veräußerung anderer aktienbasierter Kapitalanlagen lässt er dabei allerdings außer Acht. Er geht – so der BFH - somit von einer unzutreffenden Typisierung der Haushaltsrisiken aus und verkennt, dass Aktienfondsanteile, Zertifikate und Optionsscheine zum Teil weitaus höhere Verlustrisiken als Aktien bergen. Das typisierende Abstellen auf abstrakt drohende Haushaltsrisiken – beispielsweise aufgrund eines Börsencrashs vor dem Hintergrund der Finanzkrise - als Rechtfertigungsgrund für die Verlustverrechnungsbeschränkung greift darüber hinaus zu weit: Erfasst werden nicht nur Aktienveräußerungsverluste infolge massiver Kursstürze, sondern auch solche aus langfristigen (nicht spekulativen) Aktienanlagen. Folglich liegt nach Auffassung des BFH kein sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung vor.

Zudem wird der Steuerpflichtige in seiner grundrechtlich geschützten Freiheit, zwischen verschiedenen Kapitalanlageobjekten und -formen auszuwählen, beeinträchtigt, wenn er aufgrund erzielter Verluste nicht mehr in Aktien investieren kann oder will und infolgedessen die endgültige Nichtberücksichtigung der erlittenen Verluste hinnehmen muss. Er wird somit von der gesetzlichen Verluststreckung dazu angehalten, seine Investition in die Verlustaktien auch dann nicht zu beenden, wenn die eingetretene Verlustsituation ihn ansonsten zum Ausstieg aus diesem Anlagesegment motivieren würde. Dies widerspricht aber der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit des Steuerpflichtigen; er muss sich auch nicht auf andere Anlageformen verweisen lassen.


Hinweis:

Zwischenzeitlich wurde die Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste sogar noch weiter verschärft und für die Verrechnung mit Gewinnen aus Aktienveräußerungen ein Höchstbetrag von derzeit EUR 20.000 eingefügt. Der Ausschluss einer Verlustverrechnung mit anderen positiven Kapitaleinkünften – wie im Streitfall – blieb aber bestehen.

Angesichts der durch den BFH geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken sollten entsprechende Steuerverfahren bis zur abschließenden Klärung durch das BVerfG offengehalten werden. Ob und inwieweit der Gesetzgeber nunmehr Anpassungen der strittigen Norm vornehmen wird, ist noch nicht absehbar und bleibt abzuwarten.

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