In dem am 8.3.2022 veröffentlichten Hinweis des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) zu den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs, der am 8.4.2022 und 14.4.2022 jeweils im Rahmen eines Updates aktualisiert und erweitert wurde, gibt das IDW auch Antworten in Bezug auf Fragestellungen, die sich im Rahmen der Prüfung von Jahres- und Konzernabschlüssen ergeben. Die wichtigsten Aspekte des Hinweises stellen wir Ihnen nachfolgend dar.
Erhöhtes Risiko wesentlicher falscher Darstellungen1
Im Rahmen seiner Prüfungsplanung hat der Abschlussprüfer das Risiko von wesentlichen unbeabsichtigten falschen Darstellungen (Irrtümern) und beabsichtigten falschen Darstellungen (dolose Handlungen) zu identifizieren und zu beurteilen. Hierfür muss er zunächst ein Verständnis von dem Unternehmen, seinem Umfeld sowie vom internen Kontrollsystem erlangen. Das Risiko wesentlicher falscher Darstellungen in der Rechnungslegung kann durch den Ukraine-Krieg und die daraus resultierenden Auswirkungen erhöht sein.
Der Einmarsch des russischen Militärs in die Ukraine ist für Abschlüsse mit einem Stichtag vor Ausbruch des Kriegs ein wert- bzw. ansatzbegründendes Ereignis und spiegelt sich somit im Nachtragsbericht des Anhangs sowie in der Prognose- und Risikoberichterstattung des Lageberichts wider.
Für Abschlüsse mit einem Stichtag nach Kriegsausbruch können die hohe Unsicherheit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen des Ukraine-Kriegs und die damit verbundenen Risiken für die Geschäftstätigkeit der Unternehmen, die Komplexität der Abschlussaufstellung und die Subjektivität von Ansatz und Bewertung der Abschlussposten und Darstellungen in Anhang und Lagebericht erhöhen und zudem den Druck auf die Unternehmensleitung verstärken, die geplanten Ziele durch Manipulationen der Rechnungslegung zu erreichen. Der Abschlussprüfer hat darauf mit angemessenen Prüfungshandlungen zu reagieren.2
Auswirkungen von Ereignissen nach dem Bilanzstichtag3
Der Abschlussprüfer hat im Rahmen seiner Prüfung relevante Ereignisse zwischen dem Abschlussstichtag und dem Datum des Bestätigungsvermerks festzustellen und die Auswirkungen auf die Rechnungslegung sowie die Berichterstattung zu würdigen. Sofern die Ereignisse nicht zu einer Abkehr von der Going-Concern-Prämisse führen, dürfen sich für Abschlüsse mit einem Stichtag vor Kriegsausbruch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs als wertbegründendes Ereignis nicht in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung widerspiegeln, sondern lediglich Auswirkungen auf die Nachtragsberichterstattung im Anhang sowie auf damit zusammenhängende Ergänzungen bzw. Anpassungen des Risiko- bzw. Prognoseberichts im Lagebericht haben.
Bei Konzernabschlussprüfungen haben auch die Teilbereichsprüfer relevante Ereignisse zu identifizieren, zu würdigen und an den Konzernabschlussprüfer zu berichten.
Beurteilung zukunftsbezogener Sachverhalte4
Aufgrund der dynamischen Entwicklungen des Ukraine-Kriegs und dessen Folgen für die Weltwirtschaft und Unternehmen sind die zukunftsbezogenen Sachverhalte und Angaben von hoher Unsicherheit geprägt.5
Dies allein stellt für den Abschlussprüfer kein Prüfungshemmnis dar. Ein Prüfungshemmnis kann jedoch vorliegen, wenn der Abschlussprüfer nach Ausschöpfung seiner Möglichkeiten keine ausreichenden geeigneten Prüfungsnachweise für die Begründetheit der Annahmen des Managements erlangt.
Trotz der hohen Unsicherheit in Bezug auf die Auswirkungen des Kriegs haben die gesetzlichen Vertreter die Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit einzuschätzen. Sind die gesetzlichen Vertreter nach entsprechender Aufforderung durch den Abschlussprüfer nicht bereit diese Einschätzung abzugeben, hat der Abschlussprüfer die Auswirkungen auf seinen Bestätigungsvermerk abzuwägen.
Besonderheiten bei Konzernabschlussprüfungen6
Im Falle einer Einbeziehung von Tochterunternehmen mit Sitz in der Ukraine, Russland oder Belarus in einen HGB-Konzernabschluss mit einem Stichtag nach dem 24.2.2022 hat der Konzernabschlussprüfer abzuwägen, inwieweit ausreichend geeignete Prüfungsnachweise erlangt werden können oder eine Änderung des Prüfungsvorgehens notwendig ist (z.B. Durchführung von Fernprüfungshandlungen, eine zeitliche Verschiebung oder eine Änderung der geplanten Prüfungshandlungen). Eine Änderung des Prüfungsvorgehens kann auch dadurch erforderlich sein, dass es nicht möglich ist, russische oder belarussische Bankbestätigungen einzuholen bzw. dass Zweifel bzgl. der Verlässlichkeit dieser Bankbestätigungen bestehen.
Aufgrund von möglichen Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit und Objektivität von Teilbereichsprüfern kann es erforderlich sein, dass das Konzernabschlussprüfungsteam selbst Prüfungsnachweise zu den Abschlussinformationen des Teilbereichs erlangt.
Der Konzernabschlussprüfer hat die Auswirkungen auf seine Prüfungsurteile zum Konzernabschluss und Konzernlagebericht abzuwägen, sofern für wesentliche Darstellungen in den Rechnungslegungsinformationen eines Teilbereichs keine ausreichenden geeigneten Prüfungsnachweise erlangt werden können.7
Berichterstattung über bestandsgefährdende Risiken und entwicklungsbeeinträchtigende Tatsachen8
Der Abschlussprüfer hat auf Basis seiner erlangten Prüfungsnachweise zu schlussfolgern, ob aufgrund der Kriegsereignisse oder deren gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen bestandsgefährdende Risiken für das Unternehmen bestehen.9
Ein bestandsgefährdendes Risiko, auf das der Abschlussprüfer im Bestätigungsvermerk gesondert hinzuweisen hat, liegt vor, wenn wesentliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit Ereignissen oder Gegebenheiten bestehen, die bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens zur Unternehmensfortführung aufwerfen können, der Abschluss aber weiterhin unter Annahme der Going-Concern-Prämisse aufgestellt werden kann. Sofern die Angabe zur wesentlichen Unsicherheit im Abschluss und ggf. im Lagebericht angemessen ist, hat der Abschlussprüfer ein nicht modifiziertes Prüfungsurteil abzugeben.
Gem. § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB hat der Abschlussprüfer im Prüfungsbericht (anders als bei den bestandsgefährdenden Risiken über die im Bestätigungsvermerk berichtet wird) über festgestellte Tatsachen zu berichten, welche die Entwicklung des geprüften Unternehmens wesentlich beeinträchtigen. Tendenziell gehen die entwicklungsbeeinträchtigenden Tatsachen einer Bestandsgefährdung voraus.10
Berichterstattung über Key Audit Matters11
Der Abschlussprüfer eines Unternehmens von öffentlichem Interesse i.S.d. § 316a Satz 2 HGB hat im Bestätigungsvermerk über Key Audit Matters (besonders wichtige Prüfungssachverhalte, KAMs) zu berichten. Die Auswahl der KAMs erfolgt aus den mit den für die Überwachung Verantwortlichen kommunizierten Sachverhalten, die eine besondere Befassung des Abschlussprüfers erforderten und am bedeutsamsten waren. Die Kriegsereignisse sowie deren Konsequenzen für die Unternehmen und die Prüfung können zu besonders wichtigen Prüfungssachverhalten (wie bspw. identifizierte Ereignisse oder Gegebenheiten, die bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können, Probleme, ausreichende geeignete Prüfungsnachweise zu erlangen, bestimmte Ereignisse oder Geschäftsvorfälle, die einen erheblichen Einfluss auf den Abschluss haben sowie hohe Schätzunsicherheiten) führen.
Hinweis zur Hervorhebung eines Sachverhalts im Bestätigungsvermerk12
Einzelne Sachverhalte oder Auswirkungen aufgrund der aktuellen Kriegsereignisse können dazu führen, dass der Abschlussprüfer es für notwendig erachtet, die Adressaten durch einen Hinweis im Bestätigungsvermerk auf einen im Abschluss, im Lagebericht oder in einem sonstigen Prüfungsgegenstand dargestellten oder angegebenen Sachverhalt aufmerksam zu machen, der nach seiner Ansicht von grundlegender Bedeutung für das Verständnis des betroffenen Prüfungsgegenstands durch die Adressaten ist. Dieser Hinweis darf jedoch nicht eine Modifizierung des Prüfungsurteils, einen Hinweis auf eine wesentliche Unsicherheit im Zusammenhang der Fortführung der Unternehmenstätigkeit, eine Berichterstattung über KAMs oder über einen Sachverhalt, über den nur im Prüfungsbericht zu berichten ist, ersetzen.13
Berichterstattung über Sanktionsverstöße14
Stellt der Abschlussprüfer Verstöße des Unternehmens gegen verhängte Sanktionen gegenüber Russland und Belarus fest, ist darüber gem. § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB im Prüfungsbericht als Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften zu berichten. Die Sanktionsverstöße stellen Straftatbestände bzw. Ordnungswidrigkeiten dar. Abschlussprüfer von Unternehmen von öffentlichem Interesse haben zudem bei einer Vermutung oder einem berechtigten Grund zu der Vermutung, dass Sanktionsverstöße möglicherweise eintreten oder eingetreten sind, diese gem. Art. 7 EU-APrVO dem geprüften Unternehmen mitzuteilen und es aufzufordern, die Angelegenheit zu untersuchen und Maßnahmen zu treffen, dass derartige Verstöße sich in Zukunft nicht wiederholen. Sofern das geprüfte Unternehmen die Angelegenheit nicht untersucht, hat der Abschlussprüfer die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und ggf. die Staatsanwaltschaft bzw. die zuständige Verwaltungsbehörde zu informieren.
Kommunikation mit den für die Überwachung Verantwortlichen15
Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die Kommunikation des Abschlussprüfers mit den für die Überwachung Verantwortlichen hängt aufgrund der unterschiedlichen Betroffenheit der Unternehmen vom Einzelfall ab. Als zu kommunizierende Sachverhalte kommen beispielsweise die Auswirkungen auf die Prüfungsplanung und -durchführung, die Berichterstattung über bedeutsame aufgetretene Probleme bei der Erlangung von Prüfungsnachweisen, der Austausch über bestandsgefährdende Risiken oder die Erörterung der Kriegsereignisse als wesentliche Quelle von Schätzunsicherheiten in Betracht.
Pflichten nach der Erteilung des Bestätigungsvermerks16
Nach Erteilung des Bestätigungsvermerks ist der Abschlussprüfer grundsätzlich nicht verpflichtet weitere Prüfungshandlungen vorzunehmen bzw. weitere Nachforschungen anzustellen. Die andauernden Kriegsereignisse nach Erteilung des Bestätigungsvermerks sind nach Ansicht des IDW kein Grund für einen Widerruf des Bestätigungsvermerks.
Ist der Abschluss jedoch noch nicht festgestellt bzw. gebilligt, hat der Abschlussprüfer das Management auf bedeutsame Umstände hinzuweisen, die eine Änderung des Abschlusses notwendig machen würden. Gem. § 316 Abs. 3 S. 1 und 2 HGB sind ein geänderter Abschluss und/oder Lagebericht einer Nachtragsprüfung zu unterziehen. Nach Ansicht des IDW stellt eine Entscheidung der Unternehmensorgane, eine notwendige Änderung des aufgestellten und geprüften Abschlusses und/oder Lageberichts vor der Feststellung nicht vorzunehmen, obwohl Umstände eingetreten sind, die dies erforderlich machen würden, keinen Grund für einen Widerruf des Bestätigungsvermerks dar. Dies wird damit begründet, dass die Beurteilung des Abschlusses und/oder des Lageberichts zum Zeitpunkt der Erteilung des Bestätigungsvermerks zutreffend erfolgte.
1 Fragen 5.1.1 und 5.1.2 des 2. Updates zum Fachlichen Hinweis des IDW.
2 Vgl. IDW PS 210 n.F., Rz. 26 ff.
3 Frage 5.2.1 des 2. Updates zum Fachlichen Hinweis des IDW.
4 Fragen 5.3.1, 5.3.2 und 5.3.3 des 2. Updates zum Fachlichen Hinweis des IDW.
5 Aktualisierte Konjunkturprognose 2022 und 2023 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 30. März 2022, S. 2
6 Fragen 5.4.1 und 5.4.2 des 2. Updates zum Fachlichen Hinweis des IDW.
7 Vgl. IDW PS 320 n.F., Rz. 42 und ISA [DE] 330, Rz. 27.
8 Fragen 5.5.1 und 5.5.2 des 2. Updates zum Fachlichen Hinweis des IDW.
9 Vgl. IDW PS 270 n.F., Rz. 10.
10 Vgl. Schmidt/Deicke, in: Beck'scher Bilanz-Kommentar, 12. Auflage 2020 zu § 321 HGB, Rz. 54 f.
11 Frage 5.6.1 des 2. Updates zum Fachlichen Hinweis des IDW.
12 Fragen 5.7.1 und 5.7.2 des 2. Updates zum Fachlichen Hinweis des IDW.
13 Vgl. IDW PS 406, Rz. 10 und Davids/Henckel/Schubert, StuB 2022, S. 249 ff.
14 Frage 5.8.1 des 2. Updates zum Fachlichen Hinweis des IDW.
15 Frage 5.9.1 des 2. Updates zum Fachlichen Hinweis des IDW.
16 Frage 5.10.1 des 2. Updates zum Fachlichen Hinweis des IDW.