Blickpunkt: Neuverhandlung finanzieller Verbindlichkeiten vor Fälligkeit

Zeitpunkte einer Vertragsanpassung

Nicht zwangsläufig findet ein Schuldverhältnis jedoch genau bei Fälligkeit sein Ende. Eine bestehende Finanzverbindlichkeit kann auch (kurz) vor dem Fälligkeitsdatum durch eine neue mit demselben Kreditgeber ersetzt werden. In derartigen Fällen, ist zu prüfen, ob die Vertragsanpassung eine substantial modification nach IFRS 9.3.3.2 darstellt. Demnach ist der Austausch von Schuldinstrumenten mit grundverschiedenen Vertragsbedingungen zwischen einem bestehenden Kreditnehmer und Kreditgeber wie eine Tilgung der ursprünglichen finanziellen Verbindlichkeit und Ansatz einer neuen finanziellen Verbindlichkeit zu behandeln. Gleiches gilt nach IFRS 9.3.3.2, wenn die Vertragsbedingungen einer bestehenden finanziellen Verbindlichkeit oder eines Teils davon wesentlich geändert werden. Keine Rolle spielt es dabei, ob dies etwa auf finanzielle Schwierigkeiten des Schuldners zurückzuführen ist.

Keine Behandlung als Modifikation oder substanzielle Modifikation erfolgt ausnahmeweise, wenn die Neuverhandlung in der gleichen Berichtsperiode erfolgt, in der auch der Zeitpunkt der Fälligkeit liegt, und die beteiligten Parteien sich auf marktübliche Bedingungen für die neue (Anschluss-)Finanzierung einigen. In diesem Fall erfolgt die Behandlung der vertraglichen Anpassung als vertragsgerechte Erfüllung der bestehenden finanziellen Verbindlichkeit und Erfassung einer neuen Schuld.

Durchführung 10%-Test

Als grundverschieden im Sinne von IFRS 9.3.3.2 gelten Vertragsbedingungen gemäß IFRS 9.B3.3.6, wenn der unter Anwendung des ursprünglichen Effektivzinssatzes abgezinste Barwert der Zahlungsströme der neuen Vertragsbedingungen, einschließlich etwaiger Gebühren, die netto unter Anrechnung erhaltener Gebühren gezahlt wurden, mindestens 10% von dem abgezinsten Barwert der restlichen Zahlungsströme der ursprünglichen finanziellen Verbindlichkeit abweicht. Hinsichtlich des Einbezugs von Gebühren in die geänderten Zahlungsströme gilt, dass nur zwischen den unmittelbar beteiligten Vertragspartnern vereinbarte Gebühren einschließlich solcher, die in deren Namen gezahlt werden, einzubeziehen sind. Zahlungen an externe Dritte sind damit nicht in den Barwerttest einzubeziehen.[1]

Qualitative Analyse der Vertragsänderungen

Wesentliche Änderungen können neben dem (quantitativen) 10%-Barwerttest auch mittels Durchführung einer qualitativen Analyse eruiert werden und umfassen z.B. Änderungen der Laufzeit, der Währung für die Bedienung der Verbindlichkeit, Änderungen der Art der Verzinsung (Wechsel von einem festen Zinssatz zu einer erfolgsabhängigen Verzinsung) oder Änderungen bzgl. eingebetteter Derivate.[2]

Aus IFRS 9 geht nicht eindeutig hervor, ob die quantitative Analyse die Definition von „substantially different" ist oder ob es sich nur um ein Beispiel handelt, so dass auch eine umfassendere Analyse, die qualitative Faktoren berücksichtigt, durchgeführt werden kann. Insofern besteht faktisch Raum für eine accounting policy, die stetig auszuüben ist. Entweder ein Unternehmen wendet nur den quantitativen Test an oder, wenn der quantitative Test <10% ausfällt, kann das Unternehmen auch noch einen qualitativen Test durchführen. Ist der quantitative Test >10% ausgefallen, ist die ursprüngliche Verbindlichkeit auszubuchen, unabhängig ob das Unternehmen gemäß accounting policy auch einen qualitativen Test durchführt.

Vorliegen einer substanziellen Modifikation

Liegen substanziell geänderte Vertragsbedingungen vor, ist die bisherige Verbindlichkeit auszubuchen und die neue Verbindlichkeit zu erfassen. Buchhalterisch erfolgt bei einer substanziellen Modifikation ein Passivtausch, der bei abweichendem Buchwert von alter und neuer Verbindlichkeit mit einem Ergebniseffekt einhergeht (IFRS 9.3.3.3).

Im Rahmen der Vertragsanpassung angefallene Gebühren sind als Teil des Gewinns oder Verlusts aus der Tilgung zu erfassen (IFRS 9.B3.3.6A). Damit sind nur solche Kosten oder Gebühren in den Effektivzinssatz der neu zu erfassenden finanziellen Verbindlichkeit einzubeziehen und im Rahmen der Folgebewertung über die Laufzeit des Darlehens zu verteilen, für die unwiderlegbar nachgewiesen werden kann, dass diese sich ausschließlich auf die neue Verbindlichkeit beziehen.

Keine substanzielle Modifikation

Liegt keine substanzielle Modifikation vor, ist die bestehende Verbindlichkeit unter Berücksichtigung der geänderten Konditionen neu zu berechnen, in dem der Bruttobuchwert angepasst wird. Daraus resultierende modification gains or losses sind erfolgswirksam zu erfassen. 

Der Bruttobuchwert der finanziellen Verbindlichkeit ist als Barwert der neu verhandelten oder geänderten Zahlungsströme, abgezinst zum ursprünglichen Effektivzinssatz, zu berechnen (IFRS 9.5.4.3). Gebühren im Zusammenhang mit einer nicht-substanziellen Modifikation sind als Transaktionskosten über die Restlaufzeit des Finanzinstruments zu verteilen. Somit ist ein neuer Effektivzins zu bestimmen, was zu einer Korrektur des Buchwerts führt.

Neuverhandlung in der Periode der (ursprünglichen) Fälligkeit

Erfolgt die Neuverhandlung in der Periode der ursprünglichen Fälligkeit der bestehenden Verbindlichkeit, so ist diese bis zur Fälligkeit unverändert fortzuführen und gilt damit als vertragsgerecht erfüllt. Die durch das Unternehmen festgelegte Frequenz der Berichterstattung bestimmt damit über die bilanzielle Abbildung. Erst mit Fälligkeit ist die bestehende Verbindlichkeit in Höhe des Rückzahlungsbetrags auszubuchen. Ein Ergebniseffekt ergibt sich daraus nicht. Gleichzeitig ist die neue Verbindlichkeit gemäß den dann geltenden geänderten Bedingungen zu erfassen.

Wir verweisen bzgl. des Themas auch auf einen Beitrag in der PiR 2022, S. 156.


[1] Vgl. Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, Haufe-IFRS Komm., 21. Aufl., § 28 Rn. 148.

[2] Vgl. Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, Haufe-IFRS Komm., 21. Auflage, § 28 Rn. 147.