Abgeltungswirkung einbehaltener Kapitalertragsteuer bei Scheinrenditen

Einkünfte aus Kapitalvermögen werden grundsätzlich im Rahmen der sog. Abgeltungsteuer mit einem pauschalen Steuersatz von 25 % besteuert, wodurch diese nicht mehr in die reguläre Einkommensteuerveranlagung einzubeziehen sind. Strittig ist dabei allerdings, ob die abgeltende Wirkung auch dann eintritt, wenn die Kapitalertragsteuer zwar einbehalten, aber nicht beim Finanzamt angemeldet und abgeführt wird. Hierzu hat der BFH in seinen nahezu inhaltsgleichen Entscheidungen vom 29.09.2020 (Az. VIII R 17/17) und vom 27.10.2020 (Az. VIII R 3/20 und VIII R 42/18) nunmehr Stellung bezogen.

In den drei vergleichbaren Streitfällen investierten Kapitalanleger bei einem betrügerischen Schneeballsystembetreiber. Dieser bescheinigte tatsächlich nicht entstandene Gewinne, die bis zum Auffliegen des Betrugssystems entweder ausbezahlt oder gutgeschrieben bzw. vermeintlich wieder angelegt wurden. Die darauf entfallende Kapitalertragsteuer zog er dabei rechnerisch zutreffend ab, meldete diese aber weder beim Finanzamt an noch führte er sie dorthin ab, was den Kapitalanlegern jedoch nicht bekannt war. Infolge zuvor ergangener Kontrollmitteilungen berücksichtigten die jeweiligen Finanzämter der Kapitalanleger die bescheinigten Scheingewinne im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen als steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen, da sie die Abgeltungswirkung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer mangels Anmeldung und Abführung verneinten. Dies sah der BFH letztlich anders.

Aus den Scheinrenditen erzielten die betroffenen Kapitalanleger grundsätzlich steuerpflichtige Kapitaleinkünfte. Entgegen der Auffassung der Finanzämter sind diese jedoch nach Ansicht des BFH nicht in die jeweiligen Einkommensteuerveranlagungen einzubeziehen, weil der betrügerische Schneeballsystembetreiber Kapitalertragsteuer einbehalten hatte. Dadurch wurde die Abgeltungswirkung ausgelöst, auch wenn die Kapitalertragsteuer weder beim Finanzamt angemeldet noch abgeführt wurde. Die gesetzliche Einschränkung, dass die Abgeltungswirkung nur „soweit“ eintritt, wie die Kapitalerträge der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, bedeutet nach Auffassung des BFH nicht, dass dies die Abführung der Kapitalertragsteuer an das Finanzamt voraussetzt.

Darüber hinaus ist der Anleger als Gläubiger der Kapitalerträge zwar Schuldner der Kapitalertragsteuer, allerdings in den Prozess der Anmeldung und Abführung der Kapitalertragsteuer nicht involviert und hat mithin darauf keinen Einfluss. Der Fiskus bedient sich beim Einzug der Kapitalertragsteuer vielmehr des Schuldners der Kapitalerträge bzw. der auszahlenden Stelle als „Verwaltungsgehilfen“ und muss daher entsprechend dem Gebot einer sachgerechten Risikoverteilung den möglichen und vorliegend letztlich auch realisierten Ausfall der Kapitalertragsteuer tragen, wenn die Abführung der einbehaltenen Steuer nicht erfolgt. Es ist dabei auf die subjektive Anlegersicht abzustellen: Konnte der Anleger - wie vorliegend durch Gutschrift des Nettobetrags (Kapitalerträge nach Abzug der Kapitalertragsteuer) - davon ausgehen, dass die ihm zugeflossenen Scheinrenditen dem Kapitalertragsteuerabzug unterlegen haben, ist die Einkommensteuer auch abgegolten, sodass diese Kapitaleinkünfte nicht mehr in die Einkommensteuerveranlagung einzubeziehen sind.

Der BFH stellte außerdem klar, dass die Scheinrenditen in voller Höhe als Kapitaleinkünfte der Besteuerung unterliegen und sich nicht um die einbehaltene Abgeltungsteuer mindern. Der Einbehalt der Kapitalertragsteuer erfolgte mit abgeltender Wirkung für den Anleger als Gläubiger der Kapitalerträge, sodass diesem auch die einbehaltene Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag zugeflossen ist.


Hinweis:

Nach derzeitiger BFH-Rechtsprechung führen Scheinrenditen, also lediglich auf dem Papier existierende, aber tatsächlich nicht ausbezahlte Zinsgutschriften, zu steuerpflichtigen Kapitaleinkünften, wenn der Kapitalanleger gegenüber dem leistungsbereiten und (noch) liquiden Initiator die Chance hat, die Auszahlung der gutgeschriebenen Beträge zu erreichen. Konsequenterweise muss dann die einbehaltene, wenn auch nicht angemeldete und abgeführte Kapitalertragsteuer abgeltende Wirkung haben. Faktisch entfällt damit für betroffene Kapitalanleger weitgehend die problematische Besteuerung von Scheinrenditen.

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