Diese Rechtsprechung ist grds. für alle noch offenen Besteuerungszeiträume anzuwenden, wenn die Finanzverwaltung sich nicht anderweitig dazu äußert.
1. Sachverhalt
In der vom EuGH mit Urteil vom 25.03.2021 entschiedenen Sache C-907/19 („Q-GmbH“) war Klägerin eine deutsche Assekuradeurin. Sie hat drei Arten von Dienstleistungen erbracht:
- Zurverfügungstellung eines zur Deckung besonderer Risiken entwickelten Versicherungsprodukts an einen Versicherer (Lizenzgewährung).
- Vermittlung von Versicherungsverträgen für diesen Versicherer, wobei sie die Policen erforderlichenfalls anpasste und die Risiken bewertete.
- Verwaltung dieser Verträge und Schadenregulierung.
Für diese Dienstleistungen erhielt die Assekuradeurin von dem Versicherer eine Vergütung in Form einer Courtage.
2. Entscheidungen von FG Münster und BFH
Das FG Münster erkannte in seinem Urteil vom 17.10.2017 (Az. 15 K 3268/14 U) eine einheitliche Leistung, deren maßgebliche Hauptleistung die (isoliert betrachtet steuerpflichtige) Zurverfügungstellung des selbst entwickelten Versicherungsprodukts darstellt. Es beurteilte diese einheitliche Leistung deshalb als insgesamt steuerpflichtig.
Der BFH erkannte in der Revision ebenfalls eine einheitliche Leistung, hielt es aber für nicht ausgeschlossen, dass diese einheitliche Leistung insgesamt steuerfrei ist, wenn lediglich eine Nebenleistung isoliert betrachtet steuerfrei ist und legte diese Frage mit Beschluss vom 05.09.2019 (Az. V R 58/17) dem EuGH zur Entscheidung vor.
3. Gründe des EuGH
Als erstes ist festzustellen, ob eine einheitliche Leistung vorliegt. Folgende Kriterien sprechen lt. EuGH grds. für eine einheitliche Leistung:
- Die Einzelleistungen sind für den Kunden so eng miteinander verbunden, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftlich Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.
- Einzelne Einzelleistungen stellen für den Kunden keinen eigenen Zweck dar, sondern das Mittel, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.
Im streitgegenständlichen Fall war der Versicherer berechtigt, aber nicht verpflichtet, die von der Assekuradeurin bereitgestellten Vermittlungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Für das Gericht war nicht ersichtlich, dass die von der Assekuradeurin übernommene Vermittlung es dem Versicherer ermöglicht, die von der Assekuradeurin gewährte Lizenz besser zu nutzen, oder dass allein die Assekuradeurin durch ihre Vermittlungsdienste sicherstellen kann, dass dieser Versicherer die Lizenz unter optimalen Bedingungen in Anspruch nimmt.
Der EuGH geht deshalb davon aus, dass es sich bei der Vermittlungsleistung nicht um eine unselbständige Nebenleistung handelt, sondern um eine eigenständige Hauptleistung, verweist die Sache aber zur Beurteilung des Sachverhalts an den dafür zuständigen BFH zurück. Es könne nicht völlig ausgeschlossen werden, dass der BFH zu dem Ergebnis gelangt, dass eine einheitliche Leistung vorliegt.
4. Ergebnis des EuGH
Je nach Einordnung der im konkreten Fall erbrachten Leistungen kommt der EuGH zu folgenden alternativen Ergebnissen:
- Ist die Vermittlungsleistung eine eigenständige Hauptleistung, ist sie nebst dazugehörigen Leistungen (insbes. Schadenregulierung) steuerfrei, die Lizenzgewährung ist steuerpflichtig.
- Liegt eine einheitliche Leistung vor, ist die Lizenzgewährung die steuerlich maßgebliche Hauptleistung. Dabei handelt es sich weder um einen Versicherungsumsatz noch um eine dazugehörige Dienstleistung, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht wird im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der RL 2006/112. Die (einheitliche) Leistung ist deshalb insgesamt steuerpflichtig.