Einleitung
Das Vorliegen von hoher Inflation ist aktuell weltweit ein Problem. Eine hohe Inflation hat auch Auswirkungen auf Konzernabschlüsse in Deutschland ansässiger Unternehmen, die Tochtergesellschaften einbeziehen, deren funktionale Währung, die eines sog. Hochinflationslandes ist. Die Abschlüsse der betreffenden Gesellschaften müssen in einem solchen Fall vor Währungsumrechnung (IAS 21) nach den Sondervorschriften des IAS 29 zur Rechnungslegung bei Hochinflation entsprechend angepasst werden (restatement approach), um die Aussagekraft der finanziellen Berichterstattung wiederherzustellen. Ohne eine solche Anpassung ist eine Berichterstattung „not useful“ und deren Aussagekraft u.U. „misleading“ (IAS 29.2). IAS 29 sieht deshalb die Anpassung des Abschlusses anhand eines zum Bilanzstichtag geltenden allg. Preisindexes vor, um eine Neutralisation der Verzerrungseffekte bedingt durch Hochinflation zu erreichen (IAS 29.11).
Einstufung Hochinflation
IAS 29 legt dabei – im Gegensatz zu den US-GAAP - kein konkretes Merkmal für das Vorliegen von Hochinflation fest. Unter den in IAS 29.3 genannten Indikatoren, die bei der Ermessensentscheidung, ob Hochinflation vorliegt, zu berücksichtigen sind, kommt dem einer statistischen Auswertung der über einen Zeitraum von drei Jahren kumulativen Inflationsrate von nahe oder mehr als 100% die höchste Bedeutung zu (IAS 29.3(e)). Zur Qualifikation verschiedener Länder hinsichtlich Hochinflation wird regelmäßig auf die Daten des Internationalen Währungsfonds (IMF) und des International Practices Task Force (IPTF) des US-amerikanischen Center for Audit Quality (CAQ) zurückgegriffen.
Im aktuell veröffentlichten Bericht vom 09.11.2022 werden in der Liste der Länder, in denen die kumulative Inflation in den letzten drei Jahren über 100% betrug, folgende Länder aufgeführt:
- Argentinien
- Äthiopien
- Iran
- Libanon
- Südsudan
- Sudan
- Surinam
- Türkei
- Venezuela
- Republik Jemen
- Zimbabwe.
Im Rahmen der Abschlusserstellung zum 31.12.2022, sind jedenfalls diese Länder bei der Qualifikation als Hochinflationsländer nach IAS 29 zu berücksichtigen. Unternehmen haben IAS 29 erstmals anzuwenden in der Berichtsperiode, in der die Hyperinflation eintritt.
Grundzüge einer erforderlichen Anpassung nach IAS 29
Auf Ebene der einzubeziehenden Konzerngesellschaft
Bei der erstmaligen Anwendung von IAS 29 liegt eine Änderung der Rechnungslegungsmethode nach IAS 8 vor, die grundsätzlich retrospektiv vor zunehmen ist. Die Vorschriften nach IAS 29 sind daher so anzuwenden, als wäre das betreffende Land schon immer hochinflationär gewesen (IFRIC 7.3). Stellt die Konzerngesellschaft auch einen Einzelabschluss nach IFRS auf, sind die Vergleichszahlen der Vorperiode sowie alle anderen Informationen zu früheren Perioden ebenfalls anzupassen, um den am Bilanzstichtag geltenden Preisindex abzubilden (IAS 29.8).
Für die nach IAS 29 vorgeschriebene Kaufkraftanpassung ist ein allg. gültiger Preisindex zu verwenden (IAS 29.11). In der Regel wird auf einen Konsumgüterindex zurückgegriffen.
IAS 29 nimmt eine Unterscheidung in monetäre und nicht-monetäre Posten vor. Monetäre Posten sind nicht mittels Verwendung eines Preisindexes anzupassen, da sie zum Abschlussstichtag bereits in der geltenden Geldeinheit ausgedrückt werden. Entscheidendes Merkmal eines monetären Postens ist seine Erfüllung in Zahlungsmitteln (IAS 21.8). Hat ein Unternehmen in einer Periode mit Inflation mehr monetäre Forderungen als Verbindlichkeiten, so verliert es an Kaufkraft und erleidet einen Gläubigerverlust. Umgekehrt erzielt ein Unternehmen, welches mehr monetäre Verbindlichkeiten als Forderungen hat, einen Schuldnergewinn aus der Inflation. Der Gewinn- oder Verlust aus der Nettoposition der monetären Posten ist in das Ergebnis einzubeziehen und gesondert auszuweisen (IAS 29.9). Bei der erstmaligen Anwendung von IAS 29 erfolgt die Anpassung jedoch über das Eigenkapital und erst die Fortschreibung in Folgeperioden über das Ergebnis.
Nicht-monetäre Vermögenswerte und Schulden sind anhand des allg. gültigen Preisindexes an die am Abschlussstichtag geltende Maßeinheit anzupassen (IAS 29.11). Von der Anpassung betroffen ist dabei nicht nur der in der Bilanz ausgewiesene Nettobuchwert, sondern alle Bewegungen seit Zugang, somit Zu- und Abgänge, Abschreibungen und Wertberichtigungen. Die Anpassung erfolgt dabei ab dem (historischen) Anschaffungszeitpunkt. Außerplanmäßige Abschreibungen sind vorzunehmen, sofern die angepassten Buchwerte den erzielbaren Betrag übersteigen (IAS 29.19) und ergebniswirksam zu erfassen. Es ist somit nach Anpassung auch ein eventuell indiziertes impairment zu berücksichtigen. Bei nicht-monetären Posten, die nicht zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet werden, erfolgt die inflationsbedingte Anpassung – sofern überhaupt erforderlich - ab dem Zeitpunkt der letzten Neubewertung. Zu den nicht-monetären Posten zählen z.B. Sachanlagen, immaterielle Vermögenswerte, Nutzungsrechte nach IFRS 16, Vorräte, Beteiligungen, aktivische und passivische Abgrenzungen oder Vertragsverbindlichkeiten (IFRS 15).
Zu Beginn der frühesten Vergleichsperiode zu der Periode, in der der Tatbestand des IAS 29 eingetreten ist - bei einem Geschäftsjahr vom 01.01.-31.12.2022 damit auf den 01.01.2021 - werden die Bestandteile des Eigenkapitals, mit Ausnahme der Gewinnrücklagen und etwaiger Neubewertungsrücklagen, vom Zeitpunkt ihrer Zuführung in das Eigenkapital oder ihrer Entstehung unter Verwendung des Preisindexes angepasst. Alle in früheren Perioden entstandenen Neubewertungsrücklagen werden eliminiert. Die Höhe der angepassten Gewinnrücklagen ergibt sich als Residual aus der Anpassung aller anderen betroffenen Bilanzposten zu Beginn der erstmaligen Anwendung von IAS 29 (im hier angeführten Beispiel der 01.01.2021).
In der Gesamtergebnisrechnung sind alle Erträge und Aufwendungen ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Erfassung an den allg. Preisindex anzupassen (IAS 29.26). Neben der Ergebnisrechnung ist auch die Kapitalflussrechnung gemäß IAS 29.33 anzupassen.
Die inflationsbedingte Anpassung des Abschlusses kann zu Differenzen zwischen dem in der Bilanz ausgewiesenen (angepassten) Buchwert einzelner Vermögenswerte und Schulden und deren Steuerbemessungsgrundlage führen. Diese Differenzen werden gemäß IAS 12 als Steuerlatenzen bilanziert (IAS 29.32). Weitere Besonderheiten bei Steuerlatenzen im Zusammenhang mit IAS 29 werden in IFRIC 7.4 adressiert.
Auf Ebene des Konzernabschlusses, in den die Konzerngesellschaft eines Hochinflationslandes einbezogen wird
Eine Anpassung von bereits abgeschlossen Berichtsperioden ist für den Konzernabschluss, in den die betreffende Gesellschaft eines Hochinflationslandes einbezogen wird, nicht erforderlich (IAS 21.42(b)). Damit gilt im Falle des Eintritts der Hochinflation während des Jahres 2022 der 01.01.2022 als Beginn der erstmaligen Anwendung von IAS 29. Vergleichszahlen müssen nicht angepasst werden.
IAS 29 hat Vorrang vor IAS 21. Die zuvor für den Einzelabschluss beschriebenen inflationsbedingten Anpassungen nach IAS 29 erfolgen vor einer Umrechnung des entsprechenden Abschlusses in die Berichtswährung des Konzernmutterunternehmens zum Stichtagskurs (IAS 29.35 und IAS 21.43). Das gilt für die Vollkonsolidierung wie auch für den Einbezug at equity.
Nach Auffassung des IFRS IC (Agenda Decision March 2020) besteht hinsichtlich der Behandlung der inflationsbedingten restatement effects auf Ebene des Konzernabschlusses ein Methodenwahlrecht. So kann dieser zusammen mit dem währungsbedingten translation effect insgesamt als Umrechnungsdifferenz nach IAS 21 qualifiziert werden (falls eine Verknüpfung zwischen Kursentwicklung und Inflation gesehen wird) mit der Folge einer insgesamt erfolgsneutralen Erfassung (OCI) und Einstellung in die Währungsumrechnungsrücklage oder von einer solchen getrennt als inflationsbedingter restatement effect qualifiziert werden. In diesem Fall ist der restatement effect ohne Berührung des OCI direkt gegen das Eigenkapital zu erfassen.
IAS 29.39 verlangt entsprechende Anhangangaben.
Wir verweisen bzgl. des Themas Rechnungslegung bei Hochinflation auch auf einen Beitrag in der BB 2022, S. 1833.