§ 102 StaRUG, Krisenfrüherkennungspflichten bei der Erstellung von Jahresabschlüssen – Handlungspflichten von Geschäftsleitern und Beratern

Nach § 102 StaRUG müssen allerdings Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte, die einen Jahresabschluss für einen Mandanten erstellen, diesen auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 InsO und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.

Ziel der Regelung ist es, dem kriselnden Unternehmen durch eine frühzeitige Warnung die Möglichkeit zu geben, Sanierungsmaßnahmen, sei es nach dem StaRUG oder auf andere Weise, zu ergreifen. Das StaRUG bietet gesetzliche Hilfen, um etwaig mit gerichtlicher Hilfe zur Vermeidung einer Insolvenz eine Restrukturierung auch gegen den Widerstand einer Minderheit umzusetzen.

Die Pflicht des § 102 StaRUG trifft die genannten Berater unabhängig von der Rechtsform ihres Mandanten. Sie gilt daher sowohl gegenüber dem Einzelkaufmann als auch gegenüber der AG. Allerdings unterscheiden sich die Insolvenzgründe, die bei dem jeweiligen Mandanten vorliegen können.

Dies hat somit zum einen unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeiten der genannten Berater und zum anderen mittelbar auf die Mandanten aufgrund der sich hieraus ergebenden Anforderungen der Berater.

Zwar ist es bisher nicht zu der (teilweise wahrscheinlich auch bewusst herbeigeredeten) Insolvenzwelle gekommen und auch die Rezessionserwartungen schwächen sich ab[1], es zeigt sich aber, dass die Insolvenzzahlen im Jahr 2023 (auf niedrigem Niveau) deutlich steigen und weiter negative Entwicklungen auf Unternehmen einwirken, so z.B. in Form zurückgehender Aufträge[2].

Bei BDO haben wir daher eine Arbeitshilfe entwickelt, die auch ein Mehrwertangebot für die Mandanten, um eine Krise zu überwinden und die Handlungsfähigkeit bewahren zu können, darstellt.

Sachlicher Anwendungsbereich

§ 102 StaRUG knüpft an den Eintritt der wirtschaftlichen Krise eines Unternehmens und den Umstand an, dass dann für die Geschäftsleiter besondere Pflichten begründet werden.

Dies betrifft insbesondere die Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement nach § 1 Abs. 1 StaRUG und zwar unabhängig davon, ob diese in einer wirtschaftlichen Krise ist oder sich eine solche abzeichnet.

Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die haftungsrechtliche Konkretisierung der Pflichten ist die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO), wenn zweifelhaft wird, ob eine Durchfinanzierung über 24 Monate sicher ist.

Für die GmbH und die AG ist anerkannt, dass Geschäftsführer und Vorstand einer entsprechenden Pflicht im Rahmen von § 43 Abs. 1 GmbHG und § 93 Abs. 1 AktG unterliegen, die sich inhaltlich kaum von derjenigen des § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG abgrenzen lässt. Mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Eintritt der Überschuldung (§ 19 InsO) haben die Geschäftsleiter juristischer Personen spätestens nach drei Wochen im Falle der Zahlungsunfähigkeit bzw. in der bis zum 31.12.2023 geltenden Gesetzesfassung acht Wochen im Falle der Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a InsO, § 42 Abs. 2 BGB). Zudem haften sie für alle nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geleisteten Zahlungen (§ 15b InsO). Diese Haftung wird durch die Rechtshängigkeit einer Restrukturierungssache nicht per se ausgeschlossen; regelmäßig ist mit der Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens aber eine nachhaltige Beseitigung der Insolvenzreife iSv § 15b Abs. 2 S. 2 InsO verbunden.

Mängel bei der Erstellung des Jahresabschlusses

Haftungsgefahren entstehen meist dann, wenn für eine betroffene Gesellschaft ein Insolvenzgrund besteht und dennoch eine Bilanzierung nach Fortführungswerten erfolgt.

Dabei ist das grundlegende Verständnis nach dem Urteil des BGH vom 26.01.2017 – IX ZR 285/14, unverändert. Ein mit der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragter Steuerberater hat den Jahresabschluss zunächst auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände zu erstellen. Dabei ist er verpflichtet zu prüfen, ob sich auf deren Grundlage tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können und deshalb die Vermutung des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB entweder widerlegen oder ernsthafte Zweifel begründen, die nicht ausgeräumt werden können.

  • Grundsätzlich und ohne besondere Vereinbarung ist der Steuerberater jedoch nicht verpflichtet, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und/oder die hierfür erheblichen Tatsachen zu ermitteln.
  • ABER: Pflicht zu Nachforschungen und Untersuchungen zu möglichen Insolvenzgründen anstellen.
  • Der Steuerberater muss seinen Mandanten auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife des Mandanten nicht ausreichend bewusst ist.

Der Steuerberater muss seinen Mandanten also klar und unmissverständlich darüber aufklären, dass in einem Fall bilanzieller Überschuldung nebst beständig erzielten Verlusten eine Bilanzierung nach Fortführungswerten (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) zwingend von einer entsprechenden (positiven) Fortführungsprognose abhängt.

Auf die Vorlage einer Fortführungsprognose kann nur dann verzichtet werden, wenn der Mandant den Berater ausdrücklich anweist, den Jahresabschluss trotz entgegenstehender Anhaltspunkte unter einer Fortführungs-Prämisse zu erstellen. Die Anweisung ist dann im Jahresabschluss zu dokumentieren.

Besondere Bedeutung der Fortführungsprognose

Bei den Anforderungen an den Nachweis einer positiven (insolvenz-rechtlichen) Fortführungsprognose ist insbesondere auf das Urteil des BGH vom 12.05.2016 (IX ZR 65/14) abzustellen, in dem auf den Maßstab eines schlüssigen Sanierungskonzeptes abgestellt wird. Besonders herauszustellen sind die Anforderungen an den Nachweis, wonach zumindest die „Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche analysiert und […] die Krisenursachen sowie die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage erfasst werden“ müssen.

Im Folgenden sind Beispiele für Ereignisse oder Gegebenheiten aufgeführt, die einzeln oder insgesamt bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können:

  • Die Schulden übersteigen das Vermögen
  • Darlehensverbindlichkeiten mit fester Laufzeit, die fällig werden, ohne dass eine realistische Aussicht auf Verlängerung oder auf Rückzahlung besteht
  • Das Unternehmen verlässt sich in erheblichem Ausmaß auf kurzfristige Darlehen zur Finanzierung langfristiger Vermögenswerte
  • vergangenheits- oder zukunftsorientierte Finanzaufstellungen deuten auf negative betriebliche Cashflows hin
  • Unfähigkeit, die Bedingungen (z. B. Covenants) von Darlehensvereinbarungen zu erfüllen
  • Ausscheiden von Führungskräften in Schlüsselfunktionen ohne adäquaten Ersatz
  • Verlust von wichtigen Absatz- oder Beschaffungsmärkten, bedeutenden Kunden oder Lieferanten sowie Kündigung von wichtigen Franchise- oder Lizenzverträgen
  • Engpässe bei wichtigen Zulieferungen
  • Änderungen von Gesetzen oder anderen Rechtsvorschriften sowie politische Entscheidungen, die voraussichtlich nachteilige Auswirkungen für das Unternehmen haben.

Erstellen einer Fortführungsprognose als Chance zur Weiterentwicklung

Zwar kann auf die Vorlage einer Fortführungsprognose verzichtet werden, wenn der Mandant den Berater ausdrücklich anweist (s. o.). Allerdings ist von dieser „Vogel-Strauß-Taktik“ nicht nur aufgrund haftungsrechtlicher Überlegungen abzuraten, sondern auch unter dem Aspekt der Weiterentwicklung des Unternehmens.

Die Erstellung einer Fortführungsprognose sollte von der Geschäftsleitung genutzt werden, um eine ausführliche Situationsanalyse, Informationssammlung und analytische Reflexion möglicher zukünftiger Entwicklungen durchzuführen. Auch muss sich das eigene Geschäftsmodell im Spannungsfeld dynamischer Faktoren und hoher Veränderungsgeschwindigkeit bewähren. Innerhalb dieses Spannungsfelds ist es entscheidend wichtig, sich systematisch mit Möglichkeiten zur Anpassung oder weitergehenden Transformation des Geschäftsmodells auseinanderzusetzen und die Einflussfaktoren im Blick zu halten. Um über die finanziellen Effekte Transparenz zu gewinnen, sollte eine integrierte Unternehmensplanung erstellt werden. Szenario-Planungen ermöglichen dabei Unterschiede der finanziellen Auswirkungen zu verdeutlichen und eignen sich zudem für die Beurteilung der Trends.

In sehr komplexen und sich schnell verändernden Situationen ist es vernünftig, ausreichend vorbereitet zu sein. Hierbei hilft eine Szenario-Planung, denn Szenarien

  • erlauben, schneller auf veränderte Marktbedingungen und Kundenbedürfnisse zu reagieren;
  • helfen, potenzielle Risiken zu erkennen und entsprechende Maßnahmen abzuleiten;
  • ermöglichen Entscheidungsträgern, verschiedene Optionen zu bewerten;
  • decken die wesentlichen Treiber auf;
  • erweitern das Denken und ermöglichen gängige Meinungen zu hinterfragen und
  • schaffen mehr Transparenz und Offenheit im Unternehmen, da Entscheidungen und Strategien aufgrund von Daten und Fakten getroffen werden.

Sollten die Szenario-Planungen Finanzierungsbedarf verdeutlichen, so sind auf dieser Basis weitere geeignete Maßnahmen abzuleiten, zu ergreifen. Besondere Bedeutung erhalten Planungen bei Verhandlungen mit Finanzierungspartnern. Die Feststellung eines etwaigen Finanzierungsbedarfs, die Gefahr von Covenant Brüchen und mögliche Covenant Resets erfordern als Grundlage für die Verhandlungen und Finanzierungsentscheidungen plausible Planungen.

Mittels einer rechnerischen, formellen sowie materiellen Planungsplausibilisierung durch einen unabhängigen Dritten und der entsprechenden Berichte können Planungen nachvollzogen werden. Zudem wird so die Fortführungsprognose der Geschäftsleitung weiter abgesichert. Insgesamt erhöht sich die Qualität der Fortführungsprognose und die „Belastbarkeit“ für die Stakeholder. Dies stärkt die Verlässlichkeit, schafft Transparenz und verbessert Entscheidungsgrundlagen. Insb. Letzteres wird auch von den Stakeholdern, wie z. B. Finanzierungspartnern, positiv bewertet und oftmals explizit gefordert. Denn die Unternehmensplanung ist ein wichtiges und zentrales Instrument, um interessierte Dritte vom Leistungsvermögen und den Zielen des eigenen Betriebs zu überzeugen.

Fazit

  • Haftungsgefahren bestehen für die Geschäftsleitung und den den Jahresabschluss erstellenden Berater, wenn für eine betroffene Gesellschaft ein Insolvenzgrund besteht und dennoch eine Bilanzierung nach Fortführungswerten erfolgt. Relevant wird dies insbesondere, wenn Zweifel an der Durchfinanzierung im Planungszeitraum von 24 Monaten bestehen.
  • Entlastung kann hier nur eine belastbare Fortführungsprognose bringen.
  • Diese hat zusätzlich den Vorteil, dass im Zuge der Erstellung, intensiv über die Ausrichtung des Unternehmens reflektiert werden kann und frühzeitig geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation auf einer soliden Basis eingeleitet werden können. Szenario-Planungen können dabei die Vorbereitungen und Entscheidungen deutlich verbessern.
  • Die Beteiligung eines unabhängigen Dritten im Sinne eines „Sparrings-Partners“ kann dabei unterstützen und Mehrwert bei der Erstellung und Beurteilung der Planung bieten.

[1] Die aktuellen Konjunkturprognosen für Deutschland | tagesschau.de; so hat die Bundesregierung kürzlich die Erwartung des Wirtschaftswachstums auf 0,4% angehoben, und es wird einhellig von keiner Rezession (mehr) ausgegangen