Auslegungsfragen zur neuen Anhangangabe gem. § 285 Nr. 30a HGB n.F. zum tatsächlichen Steuererfolg aus der Mindestbesteuerung1


Mindestbesteuerung

Im Inland belegene „Geschäftseinheiten“, die zu einer „Unternehmensgruppe“ gehören, welche in den Konzernabschlüssen der obersten Muttergesellschaft in mindestens zwei von vier dem Geschäftsjahr unmittelbar vorhergehenden Geschäftsjahren jährliche Umsatzerlöse von 750 Millionen Euro oder mehr ausweisen, werden gem. § 1 Abs. 1 MinStG rechtsformunabhängig der Mindestbesteuerung unterworfen.
 

Regelungen im HGB i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung und weiterer Begleitmaßnahmen

Differenzen aus der Anwendung des deutschen Mindeststeuergesetzes und ausländischer Mindeststeuergesetze sind gem. § 274 Abs. 3 HGB i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung und weiterer Begleitmaßnahmen (im Folgenden verkürzt als n.F. bezeichnet) bleiben sowohl beim Ansatz als auch bei der Bewertung latenter Steuern unberücksichtigt. Der Sinn dieser Ausnahmeregelung besteht darin, die Komplexität der Umsetzung des Mindeststeuergesetzes zu verringern.  Andererseits ist ein Mindestmaß an Transparenz gegenüber den Abschlussadressaten notwendig. Dieses soll durch entsprechende Anhangangaben erreicht werden. Die neue Anhangangabe ist für mittelgroße und große Kapitalgesellschaften i.S.v. § 267 Abs. 2 und 3 HGB sowie mittelgroße und große haftungsbeschränkte Personenhandelsgesellschaften i.S.v. § 264a i.V.m. § 267 Abs. 2 und 3 HGB vorgeschrieben. § 285 Nr. 30a HGB n.F. ist erstmals auf Jahresabschlüsse für ein nach dem 30.12.2023 endendes Geschäftsjahr anzuwenden, bei einem kalenderjahrgleichen Geschäftsjahr demzufolge auf den Jahresabschluss zum 31.12.2023.
 

Gesetzlich vorgesehene Darstellungsformen

In Abhängigkeit davon, ob der Zeitpunkt des Inkrafttretens vorgenannter Gesetze vor bzw. am Abschlussstichtag oder nach dem Abschlussstichtag liegt (Abschlussstichtagsbetrachtung), sieht der Gesetzeswortlaut zwei alternative Darstellungsformen vor:
  • Alternative 1: Dem Gesetzeswortlaut des § 285 Nr. 30a HGB n F. zufolge ist im Anhang ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des betreffenden (inländischen oder ausländischen) Mindeststeuergesetzes der tatsächliche Steueraufwand (oder -ertrag) anzugeben, der sich nach diesen Gesetzen für das Geschäftsjahr ergibt.
  • Alternative 2: Bevor diese Gesetze in Kraft getreten sind, ist im Anhang zu erläutern, „welche Auswirkungen auf die Kapitalgesellschaft bei der Anwendung dieser Gesetze zu erwarten sind“ (= grds. qualitative Angaben ). „Sofern möglich und vertretbar“, besagt die Gesetzesbegründung, „ist die Erläuterung durch quantitative Angaben zu ergänzen.“  Konkretere Vorgaben enthält das HGB nicht, sodass es sich praktisch anbietet, sich an IAS 12.88D zu orientieren.
 

Anwendung zum 31.12.2023 und das deutsche MinStG

Wenn ein ausländisches Mindeststeuergesetz bspw. am 1.1.2024 in Kraft tritt, kommt Alternative 2 zum Tragen. Problematisch ist nun, dass das deutsche Mindeststeuergesetz bereits am 27.12.2023 (also vor dem 31.12.2023) in Kraft getreten ist. Anwendbar ist das Gesetz nach dessen § 101 Abs. 1 allerdings erstmals für Geschäftsjahre, die nach dem 30.12.2023 beginnen. Bei der Mehrzahl der Unternehmen entspricht deren Geschäftsjahr dem Kalenderjahr. Im Geschäftsjahr 2023 (also mit dem Abschlussstichtag 31.12.2023) war das Gesetz noch nicht anwendbar, obwohl es am 28.12.2023 in Kraft getreten ist. Dies wirft die Frage auf, nach welcher der beiden gesetzlich vorgesehenen Alternativen die Anhangangabe auszugestalten ist:
  • Nach Alternative 1 wäre im Anhang zum 31.12.2023 lediglich anzugeben, dass sich kein tatsächlicher Steueraufwand (oder Steuerertrag) nach dem MinStG für das Geschäftsjahr 2023 ergab (sog. „Null-Angabe“). Für diese wortlautgetreue Gesetzesauslegung spricht, dass der gesetzgeberische Eingriff von der Absicht getragen war, „die Komplexität der Umsetzung des Mindeststeuergesetzes“ zu „reduzieren“.  Eine Betroffenheitsanalyse nach Alternative 2 wäre zweifelsohne komplexer als eine Null-Angabe.
  • Die Anhangangabe soll angesichts der Ausnahme von der Bilanzierung latenter Steuern allerdings ein „Mindestmaß an Transparenz und Information der Abschlussadressaten sicherstellen“.  Nimmt man das Informationsinteresse der Adressaten ernst, ist vorstehende Auslegung zu formal. Es entspräche dem Sinn und Zweck der Gesetzesvorschrift vielmehr, immer dann, wenn (mangels Anwendbarkeit des MinStG) noch kein tatsächlicher Steueraufwand oder Ertrag angegeben werden kann, nach Alternative 2 auf die zu erwartenden Auswirkungen einzugehen. Dies hätte einen höheren Informationsgehalt als eine sachlich zwar zutreffende, aber triviale (dass der tatsächliche Steueraufwand aus einem noch nicht anwendbaren Gesetz Null ist, ist eine Selbstverständlichkeit) Null-Angabe.
Einstweilen führt die bilanzrechtliche Auslegung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. M.E. sprechen die besseren Gründe für die zweitgenannte Auslegung. Es ist m.E. plausibel, dass der Gesetzgeber immer dann, wenn noch kein tatsächlicher Steuererfolg (quantitative Angaben) aus MinStG angegeben werden kann, ersatzweise mindestens qualitative Angaben vorschreiben wollte.  Demgegenüber erscheint eine Unterscheidung der Situation "Gesetz noch nicht in Kraft" und "Gesetz noch nicht anwendbar" kaum überzeugend.

Anhand vergleichbarer Argumente  spricht das DRSC die Empfehlung aus, im Konzernanhang zum 31.12.2023 die Anhangangaben nach § 314 Abs. 1 Nr. 22a HGB nach Alternative 2 vorzunehmen.  Die Wortlaute des § 314 Abs. 1 Nr. 22a HGB und des § 285 Nr. 30a HGB sind insoweit identisch. Die Empfehlung des DRSC strahlt auf die Auslegung des § 285 Nr. 30a HGB aus, ohne bindend zu sein. 

Das IDW formuliert eine inhaltsgleiche Empfehlung für den Anhang zum Jahresabschluss. Allerdings sei es gleichwohl nicht zu beanstanden, wenn Bilanzierende der erstgenannten Auslegung (Alternative 1) folgen. 
 

Ist die Nullangabe eine Fehlanzeige?

Vorausgesetzt, man akzeptiert eine „Null-Angabe“, dann wirft dies die Folgefrage auf, ob „Es ergab sich kein tatsächlicher Steueraufwand/-ertrag aus dem MinStG für das Geschäftsjahr 2023“ als eine Fehlanzeige einzuschätzen ist. Wäre das zutreffend, dann wäre selbst diese Null-Angabe entbehrlich. Folglich wäre gar keine Anhangangabe notwendig. 

M.E. ist diese Sichtweise bedenklich. Wenn der Steueraufwand des Gruppenträgers bspw. positiv ist, dann transportiert die Null-Angabe die Information, dass die Besteuerungsgruppe dem Grunde nach Steuersubjekt des MinStG ist, also bspw. die Umsatzgrenze überschritten ist, aber dass letztlich eine effektive Mindestbesteuerung mit einem Satz von 15 % bereits ohne zusätzliche Belastung mit einer Mindeststeuer gewährleistet ist. Die Null-Angabe ist in diesem Lichte mehr als nur eine Fehlanzeige. M.E. darf eine Anhangangabe nicht gänzlich unterbleiben.
 

Anhangangabe in Abschlüssen von Gesellschaften, die nicht Gruppenträger sind

Auslegungsbedürftig ist des Weiteren, ob neben Angaben im Anhang der Muttergesellschaft i.S. des MinStG (Gruppenträger) auch Angaben im Anhang einer Gesellschaft geboten sind, die selbst nicht Gruppenträger ist.
  • Nach einer Argumentation ist nur der Steuerschuldner,  also nach § 3 Abs. 1 Satz 3 MinStG der Gruppenträger, von § 285 Nr. 30a HGB erfasst, aber nicht alle anderen in Deutschland belegenen Geschäftseinheiten. Infolge der gesetzlichen Zurechnung von Mindeststeuern anderer Einheiten der Mindeststeuergruppe handelt es sich bei dem Mindeststeueraufwand um Steueraufwand des Gruppenträgers. Es handelt sich m.a.W. nicht um „Aufwendungen, die lediglich auf Grund vertraglicher Abmachungen oder aus Haftungsgründen als Steuern für Dritte an den Fiskus gezahlt werden.“  Um dem Adressaten das Auffinden des Abschlusses, in dem entsprechende Informationen zu finden sind, zu erleichtern, sollte allerdings die Firma des Gruppenträgers bezeichnet werden.
  • Gegen vorstehende Auffassung wird argumentiert, dass alle Geschäftseinheiten einer Besteuerungsgruppe gesamtschuldnerisch in Haftung genommen werden können (§ 3 Abs. 5 MinStG) und dass der Mindeststeueraufwand per Umlage auch den Tochterunternehmen belastet wird (§ 3 Abs. 6 MinStG). Die Situation ähnelt der bei einer ertragsteuerlichen Organschaft, bei der der Aufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung der Organgesellschaft, wenn er nicht in den „aufgrund von Gewinnabführungsverträgen abgeführten Gewinnen“ einbezogen wird, als Steueraufwand ausgewiesen werden darf.  Wenn die Umlage als Steueraufwand ausgewiesen wird, spricht dies dafür, dass auch in Jahresabschlüssen anderer in Deutschland belegener Geschäftseinheiten Angaben nach § 285 Nr. 30a HGB n.F. vorzunehmen sein könnten.
 

„Der tatsächliche Steueraufwand/-ertrag aus dem MinStG für das Geschäftsjahr 2023 beläuft sich auf 0 Euro.“


„Der tatsächliche Steueraufwand aus dem MinStG für das Geschäftsjahr 2023 hätte statt 0 Euro x Euro betragen, wenn das MinStG schon anwendbar gewesen wäre.“
„Wenn das MinStG schon anwendbar gewesen wäre, hätte sich die effektive Steuerquote hätte sich etwa verdoppelt“


Gesetzeswortlaut und Gesetzesbegründung sind in diesem Punkt unergiebig. M.E. ist die erstgenannte Auffassung gut vertretbar und sogar vorzugswürdig. Es bleibt abzuwarten, ob sich diesbezüglich eine herrschende Meinung herausbilden wird.

Resümee

Es zeigt sich, dass der Wortlaut des § 285 Nr. 30a HGB Fragen aufwirft, die sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung zweifelsfrei klären lassen. Die Auslegung dieser Vorschrift ist derzeit in Diskussion. Mit Spannung darf erwartet werden, ob sich alsbald eine herrschende Meinung herausbilden wird.

 

1 In Anlehnung an Henckel, in: Hachmeister u.a., BilR, 3. Aufl., Kommentierung zu § 285 HGB.
BT-Drs. 20/8668, S. 240.
3 Siehe ähnlich E-DRÄS 14, Tz. 67.
BT-Drs. 20/8668, S. 240.
5 BT-Drs. 20/8668, S. 240.
6 BT-Drs. 20/8668, S. 240.
7 Siehe ähnlich IDW, Sitzungsberichterstattung des FAB zu dessen 275. Sitzung, IDW Life 2024, S. 459 („weil ein solches Verständnis des Gesetzes eher dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers gerecht werden könnte“); siehe ähnlich E-DRÄS 14, Tz. B22: Die beiden Darstellungsalternativen „verhalten sich von ihrer Entstehungsgeschichte der komplementär zueinander“.
8 E-DRÄS 14, Tz. B22 weist u.a. auf die englische Formulierung des IAS 12.88C („in periods in which Pillar Two legislation is enacted or substantively enacted but not yet in effect“) hin, was als “in Kraft getreten oder angekündigt, jedoch noch nicht anwendbar“ zu übersetzen sei. Daran wollte sich der deutsche Gesetzgeber anlehnen, übersetzte aber sinnverändernd mit „wenn diese Gesetze noch nicht in Kraft getreten sind.“
Vgl. E-DRÄS 14, Tz. 67.
10 IDW, Sitzungsberichterstattung des FAB zu dessen 275. Sitzung, IDW Life 2024, S. 459.
11 Vgl. Lüdenbach, NWB Komm. Bilanzierung, 14. Aufl., § 284 Rz. 11; WP Handbuch, 18. Aufl., Abschn. F 942.
12 Vgl. Beck Bil-Komm., 13. Aufl., § 275 Anm. 220.
13 ADS, 6. Aufl., § 275 Rz. 184.
14 Vgl. Beck Bil-Komm., 13. Aufl., § 275 Anm. 236; Hoffmann/Lüdenbach, NWB Komm. Bilanzierung, 14. Aufl., § 275 Rz. 122.