Ist Skandia ein Auslaufmodell? Mehrwertsteuergruppen und ausländische Betriebsstätten

Mit Urteil vom 11. März 2021 („Danske Bank“ C-812/19) hat der EuGH seine Rechtsprechung zur Besteuerung von grenzüberschreitenden Innenleistungen zwischen einer Hauptniederlassung und ihrer Zweigniederlassung im Sinne des Urteils in der Rechtssache „Skandia“ (Urteil vom 17.09.2014, C-7/13) ausgeweitet. Betroffen von dieser Rechtsprechung sind Unternehmer im In- und Ausland, die Zweigniederlassungen in Deutschland oder einem anderen EU-Mitgliedstaat unterhalten und gegenseitig Leistungen austauschen, wobei entweder die Haupt- oder die Zweigniederlassung Teil einer umsatzsteuerlichen Organschaft im jeweiligen Land ist.

Sowohl die Mehrwertsteuergruppe nach EU-Verständnis als auch die umsatzsteuerliche Organschaft nach deutschem Verständnis stellen Gruppenbesteuerungsmodelle dar. Solche Modelle erleichtern unter bestimmten Voraussetzungen die umsatzsteuerlich zu beurteilenden Leistungsbeziehungen zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern; entsprechende Leistungen sind grundsätzlich nicht steuerbare Innenumsätze. Grenzüberschreitende Leistungsbeziehungen sind allerdings regelmäßig im Sinne der unionsrechtlichen Maßstäbe nach den allgemeinen Regeln zu würdigen. Der EuGH hatte in seinem Urteil vom 11.03.2021 (Az. C-812/19) diesbezügliche Vorlagefragen zu beantworten.

Im Streitfall war die Danske Bank mit Hauptsitz in Dänemark Teil einer dänischen Mehrwertsteuergruppe. Die in Schweden gehaltene Zweigniederlassung gehörte keiner Mehrwertsteuergruppe an. Die mit der Zurverfügungstellung einer IT-Plattform verbundenen Kosten rechnete die Hauptniederlassung gegenüber der schwedischen Zweigniederlassung als nicht steuerbaren Innenumsatz ab.

Die schwedische Finanzverwaltung würdigte die Beteiligten als zwei getrennte Unternehmer, da sich die Danske Bank durch ihren Anschluss an die dänische Mehrwertsteuergruppe von ihrer schwedischen Zweigniederlassung gelöst habe; die von ihr erbrachten Dienstleistungen seien als steuerbare Umsätze zu beurteilen, die in Schweden von der Zweigniederlassung als Reverse Charge-Umsätze zu versteuern waren. Aufgrund ihrer steuerfreien Ausgangsumsätze stand der Zweigniederlassung kein Vorsteuerabzug in Schweden zu. Die hiergegen erhobene Klage mit eingebettetem EuGH-Vorlageverfahren blieb letztlich erfolglos.


Hinweis:

Auch wenn der Streitfall das dänische und schwedische Umsatzsteuerrecht betrifft, hat die Entscheidung vor dem Hintergrund der angestrebten Harmonisierung des Umsatzsteuerrechts in allen EU-Mitgliedstaaten eine enorme Bedeutung sowohl für deutsche Unternehmer, die außerhalb ihres inländischen Organkreises Betriebsstätten im Ausland unterhalten, als auch für inländische Betriebsstätten mit einem Stammhaus in einem Drittland oder einem anderen EU-Mitgliedstaat.


Der EuGH führt in seiner Begründung aus, dass eine Leistung zwischen einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Hauptniederlassung – hier Dänemark - und einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Zweigniederlassung – hier Schweden – grundsätzlich nicht steuerbare Innenumsätze gegeben sind. Besteht allerdings zwischen den Beteiligten ein Rechtsverhältnis, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, insbesondere weil einer der beiden Beteiligten Teil einer Mehrwertsteuergruppe ist, liegen steuerbare Leistungsbeziehungen vor. Denn der EuGH geht davon aus, dass durch den Zusammenschluss in der Mehrwertsteuergruppe die Leistungen durch die Gruppe erbracht werden. Hierbei ist unerheblich, ob es sich um einen Organträger oder eine Organgesellschaft handelt.

Im Streitfall ist folglich davon auszugehen, dass die an die schwedische Zweigniederlassung zur Verfügung gestellten IT-Leistungen insgesamt von der dänischen Mehrwertsteuergruppe erbracht werden. Dabei kann die schwedische Zweigniederlassung im Hinblick auf die nach EU-Recht vorgegebenen gebietsmäßigen Beschränkungen nicht Teil der dänischen Mehrwertsteuergruppe sein. Letztlich sind daher die beiden Beteiligten – auch in Anlehnung an das EuGH-Urteil vom 17.09.2014 in der Rechtssache Skandia America Corp. (Az. C-7/13) - nicht als eine einziger Steuerpflichtiger anzusehen.

In der Rechtssache Skandia America Corp. hatte der EuGH entschieden, dass die von einer im Drittland belegenen Hauptniederlassung an eine in der EU belegenen Zweigniederlassung erbrachte Dienstleistung dann einen steuerbaren Umsatz darstellt, wenn die Zweigniederlassung einer Mehrwertsteuergruppe angehört. Eine solche Zugehörigkeit überlagert nach Ansicht des EuGHs den Verbund zwischen Haupt- und Zweigniederlassung, so dass keine Innenumsätze, sondern steuerbare Leistungen gegeben waren. Da es sich um die Erbringung von Dienstleistungen handelte, kam das Reverse Charge-Verfahren zur Anwendung, so dass die Zweigniederlassung Schuldnerin der Umsatzsteuer war. Einen Vorsteuerabzug konnte sie aufgrund steuerfreier Ausgangsumsätze hingegen nicht geltend machen. Dadurch wurde die Umsatzsteuer zu einem echten Kostenfaktor.

 


Hinweis:

Ein im Jahr 2018 gefasster Entwurf eines BMF-Schreibens sah eine Beschränkung der Grundsätze des Skandia-Urteils auf Drittlandsfälle vor. Mangels Umsetzung blieb es jedoch bei der seinerzeitigen Verwaltungsauffassung, dass zwischen Haupt- und Zweigniederlassung nicht steuerbare Innenumsätze anzunehmen waren - sehr zur Freude insbesondere bei Banken und Versicherungsunternehmen, die regelmäßig keinen bzw. nur einen geringen Vorsteuerabzug geltend machen können, aber grenzüberschreitend mit Zweigniederlassungen aufgestellt sind.

Nach dem nun ergangenen EuGH-Urteil in der Rechtssache Danske Bank ist ein klärendes BMF-Schreiben bzw. eine Änderung des UStAE überfällig. Wir werden die weitere Entwicklung für Sie beobachten.

Insbesondere Banken und Versicherungsunternehmen sind von dieser Rechtsprechung betroffen. Sie sollten daher ihre umsatzsteuerlichen Verhältnisse in jedem Land daraufhin prüfen, ob eine Haupt- oder Zweigniederlassung Teil einer Mehrwertsteuergruppe ist und daneben Leistungen an eine in einem anderen Staat ansässige Niederlassung erbringt. Ggf. ist zur Rettung des Vorsteuerabzugs über die Auflösung von Organschaftsverhältnissen oder eine Entflechtung von Tätigkeitsbereichen nachzudenken. Gerne unterstützen wir Sie bei der Überprüfung und Umgestaltung der von dieser Rechtsprechung betroffenen Strukturen.

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