Unverzinsliche Verbindlichkeiten oder solche, deren Laufzeit am Bilanzstichtag mehr als zwölf Monate beträgt, sind für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung mit einem einheitlichen Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Diese Verpflichtung ist dem Grunde nach verfassungskonform, da man typisierend davon ausgehen kann, dass eine erst in der Zukunft zu erfüllende Verpflichtung den Schuldner weniger belastet als eine sofort zu erfüllende Leistungspflicht. Umstritten ist allerdings, ob in einer anhaltenden Niedrigzinsphase ein Zinsniveau von 5,5 % noch verfassungsgemäß ist. Hierzu hat sich das Finanzgericht Münster mit seinem Urteil vom 22.07.2021 (Az. 10 K 1707/20 E,G) mit Schwerpunkt auf den Veranlagungszeitraum 2016 geäußert.
Im Streitfall nahm ein bilanzierender Autohändler zwei unverzinsliche Darlehen i.H.v. ca. EUR 20.000 und EUR 26.000 mit unbestimmter Laufzeit auf. Im Rahmen einer rd. 20 Jahre später stattfindenden Betriebsprüfung wurde die bislang unterbliebene Abzinsung beanstandet und diese mit einem sich ergebenden Abzinsungsgewinn i.H.v. ca. EUR 23.000 nachgeholt. Hiergegen wandte der Autohändler ein, dass der Abzinsungssatz von 5,5 % wegen der seit mehreren Jahren andauernden Niedrigzinsphase – zumindest im Streitjahr 2016 – verfassungswidrig sei. Das Finanzgericht sah jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, ließ allerdings die Revision zum BFH zu.
Der BFH vertritt für das Jahr 2010 bezugnehmend auf die Angaben der Deutschen Bundesbank zum Fremdkapitalmarktzinssatz die Auffassung, dass sich damals noch kein strukturell niedriges Marktzinsniveau verfestigt hatte. Somit durfte der Gesetzgeber im Interesse der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung am statisch-typisierenden Abzinsungssatz von 5,5 % festhalten. Das Finanzgericht Münster schloss sich bereits in seinem Beschluss vom 05.05.2021 (Az. 13 V 505/21) der vorstehenden Auffassung für das Jahr 2013 an und hält dies auch für das vorliegende Streitjahr 2016 für verfassungskonform, obwohl der Fremdkapitalmarktzinssatz weiter gesunken ist. Allerdings darf dabei nach Auffassung des Finanzgerichts nicht ausschließlich auf die für den jeweiligen Streitfall maßgeblichen Vergleichsparameter (z.B. Rechtsform des Darlehensschuldners und Laufzeit der Verbindlichkeit) abgestellt werden. Darüber hinaus müssen auch weitere Faktoren, die im Einzelfall Einfluss auf die Höhe der Zinssätze auf dem Fremdkapitalmarkt haben können, in die Beurteilung einfließen. Hierzu zählen etwa die Bonität des Schuldners sowie die (fehlende) Besicherung des Darlehens. Im Rahmen seiner verfassungsrechtlich zustehenden Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis darf der Gesetzgeber daher ggf. einen im Vergleich zum Fremdkapitalmarktzinssatz höheren statisch-typisierenden Abzinsungssatz festlegen.
Der Abzinsungssatz dient dabei als interne Rechengröße hinsichtlich der Bewertung einer langfristigen und unverzinslichen betrieblichen Verbindlichkeit mit dem niedrigeren Teilwert. Einzubeziehen ist auch, dass das Unternehmen während der tilgungsfreien Zeit operativ mit dem Kredit wirtschaftet. Maßgeblich für die Beurteilung einer realitätsgerechten Abzinsung ist demzufolge der Zins, der dem durchschnittlichen zukünftigen operativen Ergebnis des Unternehmens entspricht und nicht der Zins, den das Unternehmen bei Aufnahme eines entsprechenden Darlehens zahlen müsste. Das zinsmäßige Pendant des operativen Ergebnisses ist die Gesamtkapitalrentabilität, die für das Streitjahr 2016 entsprechend den Angaben der Deutschen Bundesbank 6,5 % betrug. Auch vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung des Finanzgerichts Münster ein statischer Abzinsungssatz von 5,5 % als verfassungsgemäß einzustufen.
Das Finanzgericht weist abschließend darauf hin, dass der Steuerpflichtige es letztlich selbst in der Hand habe, die Abzinsung der Verbindlichkeit durch die Vereinbarung eines nur sehr geringen Zinssatzes oder durch sog. Kettendarlehen, die für weniger als zwölf Monate gewährt und immer wieder verlängert werden, zu vermeiden.
Hinweis:
Inwieweit die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes von 6 % bei Nachzahlungs- bzw. Erstattungszinsen ab dem Jahr 2014 auch auf den Abzinsungssatz von 5,5 % bei Verbindlichkeiten übertragbar ist, kann derzeit noch nicht eindeutig beantwortet werden. Das Finanzgericht Münster verneint zwar eine entsprechende Anwendung; das Finanzgericht Hamburg sieht dies in seinem Beschluss vom 31.01.2019 (2 V 112/18) betreffend die Jahre 2013 und 2015 aber anders und hält den Abzinsungsfaktor von 5,5 % aufgrund der Niedrigzinsphase für verfassungswidrig. Zudem hat das Finanzgericht Köln mit seinem Beschluss vom 12.10.2017 (Az. 10 K 977/17) die Frage, ob im Streitjahr 2015 bei Ermittlung der Pensionsrückstellung für steuerliche Zwecke ein Rechnungszinsfuß von 6 % (§ 6a Abs. 3 S. 3 EStG) verfassungsgemäß ist, dem BVerfG (Az. 2 BvL 22/17, anhängig) zur Klärung vorgelegt.
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