Vergütungs- und Anreizmodelle für echte Integrierte Notfallversorgung

Vergütungs- und Anreizmodelle für echte Integrierte Notfallversorgung

Berlin, 13. September 2017. Seit Jahren ist eine stark steigende Inanspruchnahme von Einrichtungen der Notfallversorgung festzustellen. Hierbei trifft es vor allem die Rettungsdienste sowie die zentralen Notaufnahmen der Krankenhäuser (ZNA), die als „one-shop-stop“ konsultiert werden. Mit den steigenden Fallzahlen gehen auch steigende Kosten und Ausgaben für das Gesundheitswesen einher. Um diese Überlastung der Dienste zu reduzieren, müssen nun auf gesundheitswirtschaftlicher und politischer Ebene die Weichen gestellt werden.

Finanzielle Anreizsysteme und gesundheitspolitische Ansätze zur Umsetzung einer echten integrierten Notfallversorgung

Dabei beziehen sich die Experten von BDO auf drei Schwerpunkte: Eigenständige Kodifizierung der Notfallversorgung im Sozialrecht, integrierte Bedarfsplanung und eigenständige Vergütungsregelungen für die Notfallversorgung.

Für die Sicherstellung der Notfallversorgung sehen sie eine bloße Kapazitätenplanung nicht als ausreichend an. Hier bedürfe es einer flächendeckenden Bedarfsplanung. Diese sollen die Bundesländer im Benehmen mit den gemeinsamen Landesgremien nach § 90a SGB V übernehmen. Bei der Sicherstellung müssten neben den Rettungsdienstträgern die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenhäuser mitwirken, so Dr. Stephan Porten von BDO Legal.

Auch beim Thema Vergütung bestehe Handlungsbedarf. Fehlanreize des jetzigen Notfallversorgungssystems müssen korrigiert werden. Gesundheitsökonom Alexander Morton hält es für erforderlich, dass gehfähige Patienten, die Krankenhäuser aufsuchen, konsequent zunächst in einer Patientenleitstelle triagiert und behandelt werden müssen. Anschließend erfolge nach Dringlichkeitsstufe eine Weiterbehandlung bei einem niedergelassenen Arzt, in einer Praxis des ärztlichen Bereitschaftsdienstes oder in der Notaufnahme des Krankenhauses. Müsse der Patient wegen Fehlens von Versorgungsalternativen in der Notaufnahme behandelt werden, müsse der Mehraufwand mit einer Triagepauschale ausgeglichen werden, so Morton.

Ein eigenständiger Versorgungssektor bedarf eigenständiger Vergütungsregelungen“, so Porten. Kostenträger und Leistungserbringer seien aufgerufen, in einem gemeinsamen Vertragswerk einen differenzierten Katalog der Prozeduren und Eingriffe sowie eine einheitliche Vergütung in der Notfallversorgung zu vereinbaren. Hierbei seien auch Qualitätsmerkmale zu definieren. Durch die Budgetierung der Mengen- oder Preiskomponenten im Sinne einer Gesamtvergütung könne einer Leistungsausweitung und -verlagerung in die Notfallversorgung entgegengewirkt werden.

Lösungsansatz zur integrierten Notfallversorgung

Im Rahmen der Veranstaltung präsentierten die BDO Gesundheitsexperten einen Lösungsansatz, der eine Neustrukturierung der notfallmedizinischen Versorgung vorsieht. Dabei stehen die Beurteilung und die gezielte Steuerung der Notfallpatienten an oberster Stelle.

Dies beginnt bereits bei einer – im Vergleich zu heute – erweiterten Leitstelle, die als Gatekeeper fungiert. Hier laufen alle Anrufe der Rettungsleitstellen (112) und der Hotline der Kassenärztlichen Vereinigungen (116 117) zusammen. Mit Hilfe von übermittelten digitalen Gesundheitsdaten via Wearables und telemedizinischen Lösungen wird von geschultem Personal eine erste Beurteilung vorgenommen und so die adäquate Behandlung gewährleistet – von niedergelassenem Arzt über den Fahrdienst des ärztlichen Bereitschaftsdienstes bis hin zum Rettungsdienst.

Das Konzept sieht außerdem eine Entlastung der Notaufnahmen der Krankenhäuser durch die Vermeidung von medizinisch nicht-indizierten Patienteneinlieferungen durch den Rettungsdienst vor. Um diesen Prozess zu unterstützen soll für den Rettungsdienst künftig die Möglichkeit geschaffen werden, ambulante Leistungen am Patienten auch ohne nachfolgenden Transport in ein Krankenhaus abrechenbar zu machen.

Um die Notaufnahmen der Krankenhäuser zu entlasten, wird im Konzept eine integrierte Patientenleitstelle vorgeschaltet. Sie dient als zentrale Anlaufstelle für alle fußläufigen Notfallpatienten und ist wie die im Idealfall angebundene ZNA rund um die Uhr besetzt. In der Leitstelle findet die von BDO vorgeschlagene standardisierte Triagierung und gezielte Steuerung der Notfallpatienten nach „ambulant“ oder „stationär“ statt.

Alle ambulanten Patienten werden in der ebenfalls angeschlossenen Praxis des ärztlichen Bereitschaftsdienstes behandelt. Die stationär aufzunehmenden Patienten werden hingegen in der ZNA versorgt. Der Rettungsdienst soll nach diesem Modell primär Notfallpatienten nur an die ZNA überführen.

So wird eine bedarfsspezifische Notfallversorgung gewährleistet und die Behandlungsqualität durch die Konzentration und Reorganisation mithilfe von effektiven Gatekeeping-Prozessen gesteigert.