Vorwort
Mit fortschreitender Digitalisierung steigen branchenübergreifend die IT-Kosten der Unternehmen. Dies betrifft sowohl Kosten für selbsterstellte Software als auch Customizing-Arbeiten zur Einrichtung und Weiterentwicklung entgeltlich erworbener Software, z.B. im Rahmen der Einführung der nächsten Generation von ERP-Systemen wie SAP S4/HANA. Zudem ist ein eindeutiger Trend zur Verlagerung von Applikationen in Cloud-Lösungen festzustellen. Nachgefragt werden sogenannte Software-as-a-Service-Leistungen (SaaS), aber auch Plattformen (PaaS) oder die Infrastruktur (IaaS) eines Unternehmens.
Die Vorgaben zur bilanziellen Abbildung von immateriellen Vermögenswerten in den IFRS wurden weitestgehend vor der digitalen Transformation der Unternehmen formuliert. Hieraus resultieren unterschiedliche Komplexitäten für die Bilanzierung von (selbst geschaffener) Software. Dies haben wir zum Anlass genommen, den aktuellen Stand der bilanziellen Behandlung von IT-Kosten im deutschen Prime Standard für die Geschäftsjahre 2017 bis 2019 zu untersuchen und die Ergebnisse in einer Studie zu veröffentlichen.
Bilanzielle Herausforderung
Die internationalen Rechnungslegungsstandards (IAS/IFRS) enthalten keine expliziten Vorschriften zur Bilanzierung von Software. Anzuwenden sind die allgemeinen Vorschriften für immaterielle Vermögenswerte gemäß IAS 38. Demnach erfüllt entgeltlich erworbene Software regelmäßig die allgemeinen Definitions- und Ansatzkriterien und wird zu Anschaffungskosten als immaterieller Vermögenswert aktiviert. Ermessensspielräume können sich ergeben, wenn die erworbene Software nicht on-premise installiert, sondern in einer Cloud bereitgestellt wird. In Abhängigkeit der Ausgestaltung des SaaS-Vertrags, wäre dieser Sachverhalt mitunter als Dienstleistungsvertrag zu behandeln und die zugrundeliegenden Kosten aufwandswirksam zu erfassen.
Die Aktivierung von Kosten für selbsterstellte Software bzw. für Customizing-Arbeiten zur Einrichtung und Weiterentwicklung entgeltlich erworbener Software ist an weitere Voraussetzungen geknüpft. Ein Schlüsselkriterium ist die Trennung des Herstellungsprozesses in eine Forschungs- und Entwicklungsphase, um die Kosten sachgerecht auf die Phasen zu verteilen. Ein Ansatzgebot besteht für Kosten der Entwicklungsphase. Wird das Software-Projekt in der traditionellen Wasserfallmethode umgesetzt, können die Kosten der sequenziell angeordneten Schritte der Forschungs- und Entwicklungsphase relativ einfach voneinander getrennt werden. Der Trend zur agilen Softwareentwicklung erschwert hingegen die sachgerechte Trennung der Kosten. Durch den iterativ ausgelegten Prozess, der für gewöhnlich in einzelne Sprints unterteilt wird, kann die Grenze zwischen den Phasen verschwimmen. Ist wie im Fall des Extreme Programming keine Trennung möglich, sind die gesamten Kosten der Forschungsphase zuzurechnen und in der Folge aufwandswirksam zu erfassen.[1]
IAS 38 enthält keine spezifischen Vorgaben, welche Aktivitäten im Zusammenhang mit Softwareprojekten der Forschungs- oder der Entwicklungsphase zuzuordnen sind, so dass die Unternehmen folglich eigene Ansätze entwickeln müssen. Bilanzielle Vorgaben bestehen ebenso wenig für cloud-basierte Applikationen oder die Anwendung agiler Entwicklungsmethoden.[2] Hieraus können Ermessensspielräume entstehen, die zu einem faktischen Aktivierungswahlrecht und einer damit einhergehenden heterogenen Abbildung von IT-Kosten in den Abschlüssen der Unternehmen führen.
Thema und Methodik
Die zugrundeliegende Analyse unserer Studie umfasst eine Grundgesamtheit von 159 publizitätspflichtigen Unternehmen aus den Indizes DAX, MDAX und SDAX. Ausgangsbasis hierfür war die Zugehörigkeit zu einem der drei Indizes am 3. Juli 2020 sowie die veröffentlichten IFRS-Konzernabschlüsse der Geschäftsjahre 2017 bis 2019. Analysiert wurden sowohl qualitative als auch quantitative Angaben.
Ausgewählte Ergebnisse
75 Unternehmen der analysierten Grundgesamtheit geben an, Software zur eigenen Nutzung selbst zu entwickeln und in den folgenden Bereichen einzusetzen (Basis: Geschäftsberichte 2019):
- Optimierung der IT-Systemlandschaft zur Steuerung der Geschäftsprozesse
- Einführung und Erweiterung von ERP-Software und weiteren Buchhaltungssystemen
- Einführung und Erweiterung von Software im Bereich Personalwesen
- IT Cyber Security
Von den 75 Unternehmen des Prime Standard im Geschäftsjahr 2019, die angeben Software zur eigenen Nutzung zu entwickeln, berichten lediglich 34 Unternehmen auch quantitative Angaben zu Buchwerten für aktivierte selbsterstellte Software. Von diesen 34 Unternehmen geben zusätzlich lediglich zehn Unternehmen auch die Höhe der aufwandswirksam erfassten IT-Kosten für selbsterstellte Software an, die sich entweder auf die Forschungsphase beziehen oder nicht die Aktivierungskriterien des IAS 38 erfüllen. Die nachfolgende Tabelle fasst die Ergebnisse der Studie zusammen:
2019 | 2018 | 2017 | |
Summe der Buchwerte für selbsterstellte Software (DAX, MDAX und SDAX), in Mio. Euro |
8.173 | 9.111 | 8.537 |
Buchwerte für selbsterstellte Software im Verhältnis zu Buchwerten für immaterielle Vermögenswerte, exkl. Geschäfts- oder Firmenwerte, in % | 27 | 34 | 32 |
Zugänge zu Buchwerten für selbsterstellte Software, in Mio. Euro |
174 | 129 | 119 |
Aufwandswirksam erfasste Kosten für selbsterstellte Software, in Mio. Euro | 274 | 234 | 205 |
Aktivierungsquote im Bereich selbsterstellte Software, in % |
39 | 36 | 37 |
Abbildung: Zusammenfassung der Analyseergebnisse
Die detaillierte Studie erhalten Sie hier.
Fazit und Ausblick
Die Studie hat gezeigt, dass die Unternehmen selbsterstellte Software in ganz unterschiedlichen Bereichen vorhalten. Auffällig ist, dass mehr als die Hälfte der aufgewendeten IT-Kosten bilanziell unberücksichtigt bleibt. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Wenig überraschend ist hingegen, dass einige Unternehmen eine nicht umsetzbare Trennung von Kosten der Forschungs- und Entwicklungsphase als Ursache für die Aufwandserfassung aufführen. Die Aufwandserfassung für selbsterstellte Software bzw. Customizing-Arbeiten zur Einrichtung und Weiterentwicklung entgeltlich erworbener Software kann zudem wichtige Finanzkennzahlen, wie beispielsweise das EBITDA, belasten bzw. bei Vorliegen der Aktivierungsvoraussetzungen entsprechend entlasten.
Die digitale Transformation der Unternehmen, die nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie noch einmal erheblichen Aufwand erfahren hat, wird die Bilanzierungspraxis auch zukünftig vor diverse Herausforderungen stellen. Für die angemessene Abbildung der IT-Kosten in den Ist- und Plandaten müssen sich Unternehmen daher frühzeitig mit potenziellen IT-Projekten und deren bilanziellen Folgen auseinandersetzen. Dabei ist nicht nur die jeweilige Bereitstellungsvariante der Software (on-premise vs. cloud-basiert) relevant. Für die Aktivierungsfähigkeit von Entwicklungskosten selbst geschaffener Software bedarf es zudem einer Kostenrechnung, die die sachgerechte Zuordnung von Kosten der Forschungs- und Entwicklungsphase auch bei Einsatz agiler Entwicklungsmethoden sicherstellt.
[1] Für eine detaillierte Darstellung der Definitions- und Ansatzkriterien gemäß IAS 38 vgl. Schunk/Chadha/Stollenwerk, WPG 2020, S. 1412 ff.
[2] Das IFRIC Interpretations Committee (IC) hat jüngst sogenannte Agenda-Entscheidungen zu SaaS-Verträgen veröffentlicht, die auf den jeweils zugrundeliegenden Bilanzierungssachverhalt abstellen, vgl. hierzu IFRIC IC Agenda Paper 2, Configuration or Customisation Costs in a Cloud Computing Arrangement (IAS 38), März 2021 sowie IFRIC IC Agenda Paper 7, Customer’s right to receive access to the supplier’s software hosted on the cloud (IAS 38), März 2019.